„Leichte Sprache braucht Mut“


Uwe Roth macht Texte für alle verständ­lich. Im Inter­view erklärt der Jour­na­list, warum sich Leichte Sprache in der internen Unter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­tion lohnt und welche Vorbe­halte es gibt.

Uwe Roth ist Texter für Leichte Sprache in Ludwigs­burg. Er arbeitet außerdem als Jour­na­list für verschie­dene Zeitungen und Maga­zine.

Herr Roth, was ist Leichte Sprache?
Leichte Sprache ist ein Werk­zeug der Verstän­di­gung. Es gibt verschie­dene Regel­an­sätze zur Verein­fa­chung von Satzbau, Wort­wahl, Gram­matik und auch Recht­schrei­bung. Ziel ist es, Texte so zu gestalten, dass so viele Menschen wie möglich sie verstehen.

Begriffs­wirr­warr

Wenn von Leichter Sprache die Rede ist, ist nicht immer klar, was damit gemeint ist. Meis­tens – so auch hier – ist damit eine Sprach­ver­einfachung gemeint, die sich an Leit­fäden orien­tieren wie etwa diesem hier vom Bundes­ministerium für Arbeit und Soziales. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Nach­richten des Deutsch­land­funks in Leichter Sprache oder dieser amüsante Beitrag von brand eins über die Krisen­kom­mu­ni­ka­tion von Volks­wagen.

In der Behin­der­ten­hilfe gibt es sehr strikte und genaue Regeln für die Verwen­dung von Leichter Sprache. Hier werden auch meist erklä­rende Illus­tra­tionen im Text verwendet. Um sich davon abzu­grenzen, entwi­ckelt sich gerade der Begriff „Einfache Sprache“. Diese orien­tiert sich viel näher an der alltäg­lich gebrauchten Text­sprache, hat aber noch keine etablierten Regeln.

Es gibt da noch weitere Unter­schei­dungen in reine „Leichte Sprache“ oder „Einfache Sprache“. Ich selbst spreche gerne von „Verständ­li­cher Sprache“. Wie auch immer: Gemeinsam ist allen, dass sich das Text­ver­ständnis an den Anfor­de­rungen der Grund­schule orien­tiert.

Wollen Sie wirk­lich mit Erwach­senen auf Grund­schul­ni­veau kommu­ni­zieren?
Ja. Bitte verwech­seln Sie nicht Sprach­ni­veau mit dem Inhalt der Kommu­ni­ka­tion! Wenn Ihr nächster Steu­er­be­scheid in Grund­schul­sprache geschrieben wäre, würden Sie sich wahr­schein­lich freuen. Man kann und sollte auch über komplexe Dinge verständ­lich schreiben. In den Köpfen der Gebil­deten steckt drin: Wenn die Leute schlecht lesen oder nicht gut Deutsch spre­chen können, dann sollen sie doch zur Volks­hoch­schule gehen. Also: Die müssen sich anstrengen, um uns zu verstehen. Ich glaube hingegen, dass es wichtig ist, auf Lese­schwache zuzu­gehen.

Außerdem nimmt eine solche Denk­weise die Realität nicht wahr: Je nach Berech­nung gibt es in Deutsch­land rund 7,5 Millionen funk­tio­nale Analpha­beten, also Erwach­sene, die geschrie­bene, deut­sche Texte kaum oder nur schwer verstehen. Das ist fast jeder Zehnte! Dazu zählen alte Menschen, Menschen mit geis­tiger Behin­de­rung, Hirn­schäden oder Demenz. Dazu zählen aber auch Einwan­derer, Geflüch­tete oder ganz einfach Leute, die sich schon immer mit geschrie­benen Infor­ma­tionen schwer taten und trotzdem einen Schul­ab­schluss und eine Ausbil­dung schafften: 15 Prozent aller Erwerbs­fä­higen können nicht gut lesen. Funk­tio­nale Analpha­beten sind eine große und äußerst hete­ro­gene Gruppe. Und diese Menschen sind eben nur über eine leich­tere, verständ­liche Sprache zugäng­lich.

Was ist besser: eine Botschaft, die viele verstehen, oder eine Botschaft, die alle verstehen?

Was hat ein Unter­nehmen davon, wenn es etwa intern auch einmal in Leichter Sprache kommu­ni­ziert?
Die Sicher­heit, dass es von allen verstanden wird. Was ist besser: eine Botschaft, die viele Mitar­beiter verstehen, oder eine Botschaft, die alle Mitar­beiter verstehen?

Sollten dann Unter­nehmen zum Beispiel in ihrem Mitarbeiter­magazin die Texte immer in zwei Versionen anbieten: schwer und leicht?
Manchmal kann das eine gute Lösung sein, etwa bei beson­ders wich­tigen Infor­ma­tionen, zum Beispiel zur Arbeits­si­cher­heit oder zu einer Krise im Unter­nehmen. Grund­sätz­lich glaube ich aber, dass eine Misch­form das Beste und Prak­ti­ka­belste ist. Das kann auch ein Extra-Kasten sein, der die zentralen Botschaften noch einmal ganz leicht zusam­men­fasst, oder eine erklä­rende Illus­tra­tion.

Ist Leichte Sprache nicht manchmal zu simpel? Kann man wirk­lich alle Infor­ma­tionen damit trans­por­tieren?
Viel­leicht nicht restlos alle, aber mit Sicher­heit die meisten und die wich­tigsten. Eine verständ­liche Sprache ist eine ehrliche Sprache, weil sie allen Füll­wör­ter­bal­last und allen Schmuck abwirft. Die Infor­ma­tion ist viel besser zu erkennen. Tatsäch­lich kann das in manchen Fällen sogar ein Problem sein, wenn der Autor gar nicht will, dass der Text leicht zu verstehen ist. Das Para­de­bei­spiel sind Juristen. Wenn ich für Minis­te­rien oder Behörden als Sprach­ver­ein­fa­cher arbeite, habe ich viel mit Juristen zu tun, die auf bestimmte Formu­lie­rungen und Begriff­lich­keiten bestehen, damit Texte rechts­ver­bind­lich sind. Das kann ich schon nach­voll­ziehen. Auf der anderen Seite heißt das ganz deut­lich: Aus Juris­ten­sicht ist es völlig egal, ob irgend­je­mand ihre Texte versteht. Ich finde, das ist ein Problem.

Viele Unter­nehmen denken: Diese Blöße dürfen wir uns nicht geben!

Gibt es Vorbe­halte gegen Leichte Sprache?
Sie wird oft – ich sag’s mal brutal – als Deppen­sprache betrachtet. Man stößt sich zum Beispiel daran, dass zusam­men­ge­setzte Wörter mit Binde­strich getrennt werden, also etwa „Werks-Halle“. Das ist für einen Menschen, der nicht gut lesen kann, eine echte Erleich­te­rung. Ande­rer­seits wirkt so ein unge­wohntes Schrift­bild auf viele wie ein Warn­si­gnal: Achtung – das hier ist was Kurioses für Bildungs­ferne! Viele meiner poten­zi­ellen Aufträge schei­terten daran, dass im Gesprächs­kreis irgend­je­mand – es ist immer ein Akade­miker! – auf einmal sagt: Diese Blöße dürfen wir uns doch nicht geben.

Woran liegt das?
Das mit der „Blöße geben“ höre ich ganz oft. Aber ehrlich gesagt habe ich es immer noch nicht so recht verstanden. Ich vermute, es ist eine gewisse Angst, als Unter­nehmen unpro­fes­sio­nell zu wirken, wenn man Leichte Sprache benützt. Dazu braucht es Mut. Hinzu kommt: Es entscheiden immer gebil­dete Führungs­kräfte darüber, ob Leichte Sprache im Unter­nehmen einge­setzt wird. Sie gehen stark von sich selbst als Adressat aus, habe ich den Eindruck. Sie denken: Was ich verstehe, verstehen andere auch. Das ist aber nicht so.


Umfrage zu Leichter Sprache

Die Ergeb­nisse auf einen Blick

Im Zeit­raum zwischen September und Dezember 2015 führten wir auf unserer Website eine Blitz­um­frage zum Thema „Leichte Sprache in Unter­nehmen“ durch, um ein Stim­mungs­bild zu bekommen. 103 Personen nahmen teil.

  • Rund ein Viertel aller Teil­nehmer kennt das Problem Lese­schwäche aus dem eigenen Unter­nehmen.
  • Einem Drittel begeg­nete Leichte Sprache schon einmal im beruf­li­chen Umfeld.
  • Eben­falls ein Drittel der Teil­nehmer schätzt den Anteil funk­tio­naler Analpha­beten in ihrem Unter­nehmen auf über sechs Prozent; darunter 14 Teil­nehmer sogar auf über zehn Prozent.
  • Nur in einem Unter­nehmen gibt es gezielte Ange­bote für lese­schwache Mitar­beiter: einen Kurs in Lese­technik und eine Bera­tung im eigenen Didak­tik­zen­trum. Dieses Unter­nehmen hat weniger als 500 Mitar­beiter.

Die Ergeb­nisse im Detail

Teil­nehmer: 103

Ist in Ihrem Unter­nehmen das Thema „Leichte Sprache“ schon einmal auf einer Tages­ord­nung aufge­taucht?

ja: 32
nein: 52
weiß nicht: 6
keine Angabe: 13

Hatten Sie beruf­lich schon Berüh­rung mit dem Thema „Lese­schwäche“?

ja: 25
nein: 62
weiß nicht: 1
keine Angabe: 15

Was schätzen Sie: Wie hoch ist in Ihrem Unter­nehmen der Anteil an Mitar­bei­tern mit einge­schränkter Lese­kom­pe­tenz in deut­scher Sprache?

unter 1%: 25
1-5%: 26
6-10%: 21
über 10%: 14
keine Angabe: 17

Gibt es in Ihrem Unter­nehmen spezi­elle Infor­ma­ti­ons­an­ge­bote für lese­schwache Mitar­beiter?

ja: 1
nein: 73
weiß nicht: 15
keine Angabe: 14

Wenn ja: Können Sie die (geplanten) Ange­bote hier kurz beschreiben?

  • Kurs Lese­technik und indi­vi­du­elle Bera­tungs­an­ge­bote des Didak­tik­zen­trums (Unter­nehmen mit unter 500 Mitar­bei­tern)

Bitte nennen Sie die Größen­ord­nung Ihres Unter­neh­mens.

unter 500 Mitar­beiter: 49
500 – 1000 Mitar­beiter: 7
1000 – 5000 Mitar­beiter: 16
über 5000 Mitar­beiter: 12
keine Angabe: 19

Florian Burkhardt

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