Zehnmal lecke­rere Head­lines


„Ich find das aber besser.“ „Nein, die ist schöner!“ „Also ich finde...“ Ich, ich, ich. Head­lines sind wie Kartof­feln: Jeder hat eine Meinung und viele denken, was gut ist, sei Geschmack­sache.

Die Kartof­fel­wirt­schaft hat das Problem mit der „Geschmacks­sache“ mit den „Kartof­fel­ge­schäfts­be­din­gungen“ gelöst. 1956 schrieb die Branche in den Berliner Verein­ba­rungen mit objek­tiven Krite­rien fest, was gute Kartof­feln sind und was nicht. Etwas Vergleich­bares gibt es für Head­lines nicht. Höchste Zeit für etwas Butter bei die Kartof­feln:

  1. Eine gute Head­line braucht eine gute Geschichte mit einer Kern­aus­sage. Ist die Geschichte beliebig, breit oder unwichtig, wird auch die Head­line beliebig.
  2. Eine gute Head­line benennt das Thema. Sie darf Bilder, Vorspann oder Ähnli­ches als Reso­nanz­körper nutzen. Aber sie sollte sich nicht darauf verlassen.
  3. Eine Head­line enthält eine Behaup­tung, eine Auffor­de­rung oder ein Verspre­chen. Wenn das gelingt, zwingt sie zur Ausein­an­der­set­zung mit ihr.
  4. Fragen sind keine guten Head­lines. Fragen kann man auswei­chen, selbst wenn sie den Leser direkt anspre­chen. Wer ruft: „Ihr seid doch alle faul“, hat garan­tiert mehr Leser, als wenn er fragt: „Warum seid ihr so faul?“
  5. Eine gute Head­line spielt mit den Urtrieben. Wenn es um Sex, Blut, Angst, Krank­heit, Tod, Gier, Geld, Hass, Liebe geht, ist die Aufmerk­sam­keit sicher. Und nein, das ist nicht nur etwas für den Boule­vard. Es kommt nur darauf an, wie man es macht.
  6. Eine gute Head­line darf lang sein. Die stärksten Head­lines bestehen aus Subjekt, Prädikat und Objekt. Damit erzählt schon die Head­line eine ganze kleine Geschichte. Ein-Wort-Head­lines sind selten starke Head­lines.
  7. Eine gute Head­line benutzt kurze, starke Worte: Worte, die etwas beschreiben, das man in die Hand nehmen, machen oder fühlen kann. Physi­sche Hand­lungen sind am stärksten und das Ding schlägt immer das Konzept und das Verb das Adjektiv: Tränen sind stärker als Trauer, und wenn ein Mann heult, ist das stärker als ein weinender Mann.
  8. Eine gute Head­line benutzt gebeugte Verben. Wer schreibt „Gehet hin in Frieden!“, schaut dem Leser in die Augen und fordert ihn zu einer Hand­lung auf. Wer sagt „In Frieden gehen“, macht es wie ein schüch­terner Mensch auf einer Party: Er sagt etwas Unbe­stimmtes zu niemand Bestimmtem und bekommt keine Antwort.
  9. Eine gute Head­line braucht keinen Witz, keinen doppelten Boden, keine Wort­spiele und keine über­ra­schende Wendung. Wenn sie das auch noch hat, ist sie viel­leicht eine bessere Head­line. Viel­leicht aber auch nicht.
  10. Und schließ­lich: Eine gute Head­line braucht Zeit und Hirn­schmalz. Um so mehr, je abstrakter die Geschichte ist.

PS: Nein, es gibt keine echten Beispiele in diesem Artikel, sonst landen wir wieder bei Kartof­feln und Geschmack. Drum: Wer Beispiele will, wende diese Faust­re­geln auf seine bevor­zugten Maga­zine, Online­ma­ga­zine, Nach­rich­ten­por­tale, Zeit­schriften, Magazin-Apps oder Tablet-Ausgaben an. Dort wird er sie finden (oder auch nicht).

PPS: Ja, diese Regeln gelten auch online. Dort gelten sie sogar in noch viel stär­kerem Maß. Auf Druck­seiten gibt das Bild oft den ersten Ausschlag. Online im News­stream ist die geschrie­bene Head das entschei­dende Element, selbst wenn ein Bild sie begleitet.

Martin Reinhardt

Artikel bewerten:

1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne
Loading...