Direkt in unserer Nachbarschaft im Stuttgarter Osten haben zwei Digital Natives ein Printmagazin erfolgreich an den Start gebracht. Mit viel Herzblut brechen sie im Übermorgen-Magazin das komplexe Thema Nachhaltigkeit auf eine verständliche und für jedermann erlebbare Ebene herunter. Wie sie das anstellen, warum es dafür Print braucht und was sie im Web noch vorhaben berichten sie im Interview.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ein Magazin über Nachhaltigkeit in Stuttgart ins Leben zu rufen?
Dominik: Uns störte, wie verwässert und inflationär der Begriff Nachhaltigkeit gebraucht wird. Deshalb haben wir uns überlegt, wie wir das Thema verstehen und wie wir es passend kommunizieren könnten. Dabei merkten wir, dass wir Lust hatten dazu ein Magazin zu machen. Klar hätten wir auch eine Homepage aufsetzen können. Wir wollten aber etwas haben, das wir auch in die reale Welt mitnehmen können und etwas, das man in der Hand halten kann, wenn es fertig ist.
DAS MAGAZIN
Übermorgen ist ein Stuttgarter Magazin über Nachhaltigkeit. Es lockt seine Leser mit liebevoll gestalteten Illustrationen, kreativen Blickwinkeln, klar verständlichen Texten und einer Portion Selbstironie. Das Heft im DIN A5-Format hat eine Auflage von 10.000 Stück und liegt in Bars, Cafés, Restaurants und Shops gratis zum Mitnehmen aus.
Wie passen tote Bäume als Medium zu dem nachhaltigen Grundgedanken?
Lennart: Zunächst darf man nicht vergessen, dass auch das Internet durch den hohen Stromverbrauch nicht gerade umweltfreundlich ist. Außerdem war es uns wichtig, dass wir unseren Inhalten eine gewisse Wertigkeit und damit auch eine längere Wirkdauer verleihen. Das ist aus unserer Sicht bei einem gut gemachten Print-Produkt eher gegeben als im Web. Schließlich achten wir bei der Produktion darauf möglichst umweltfreundlich zu sein, indem wir entsprechende Papiere und Druckfarben auswählen und den Druck über CO2-Zertifikate kompensieren.
Was stört euch daran, wie das Thema Nachhaltigkeit kommuniziert wird?
Lennart: Oft wird Nachhaltigkeit sehr theoretisch behandelt. Da wird viel heiße Luft produziert und keiner weiß, was eigentlich gemeint ist. Dabei steckt das Wort in vielen Dingen, die uns täglich umgeben, auch hier in der Region. Wir brechen das Thema runter, zeigen Alternativen auf und stellen Persönlichkeiten vor, die Leute inspirieren, etwas in ihrem Leben zu verändern. Dabei sind wir sehr undogmatisch unterwegs, auch weil wir selbst sicher keine Nachhaltigkeitsvorzeigekinder sind.
Wie funktioniert dieses Herunterbrechen konkret?
Dominik: Weil das Thema so groß und komplex ist, kapitulieren viele und wissen gar nicht, wo sie ansetzen sollen. Wir nutzen deshalb auch andere Begriffe wie „Wasser“, „Wald“, „Pflanzen“ oder „Garten“. Damit kann jeder sofort assoziativ etwas anfangen. Der Fokus auf Stuttgart hilft uns außerdem, ganz praktische Tipps zu geben, die die Leute direkt in ihrem Alltag testen können und die für sie oft keinen größeren Aufwand bedeuten.
DIE MACHER
Dominik Ochs und Lennart Arendt sind Gründer und Geschäftsführer der Agentur Grüne Neun. Sie beraten Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit. Das Thema begleitet die beiden bereits seit dem Studium. An der BiTS in Iserlohn studierten sie Green Business Management.
Wie kommt das bei den Lesern an?
Dominik: Sehr gut. Von der ersten Ausgabe weg haben wir positive Rückmeldungen bekommen. Das war unsere Rettung. Wir hatten viel Geld in das Projekt gesteckt und waren pleite. Das positive Feedback hat uns ermuntert, weiterzumachen. Auch an der Anzeigensituation sehe ich, dass das Heft ankommt: Im ersten Magazin hatten wir gerade mal zwei bezahlte Anzeigen, die ich über mühsame Kaltakquise an Land gezogen habe. Bei der aktuellen fünften Ausgabe hatten wir sogar Anfragen von Unternehmen.
Anzeigenkunden schauen ja auch immer stark auf die Zielgruppe. Wer sind denn eure Leser?
Lennart: Eine Überraschung für uns war die heterogene Zusammensetzung unserer Leserschaft. Bei einem Lesertreffen wurde das besonders deutlich. Da waren sehr verschiedene Leute dabei, vom Jugendlichen mit umgedrehter Cap und Freundin im Minirock bis hin zu einem lesbischen Paar über sechzig. Diese Zielgruppen erreichen wir gut über das Print-Magazin, das zum Mitnehmen gratis in vielen Orten in Stuttgart ausliegt.
Trotzdem gibt es auch eine Übermorgen-Homepage. Wie spielen Print und Online bei euch zusammen?
Lennart: Auf der Homepage zeigen wir fast alle Inhalte, die es auch im Heft gibt. Außerdem können die User nach einem Monat auch das Magazin als PDF herunterladen. Diese Zeitverzögerung haben wir eingebaut, um die Wertigkeit des gedruckten Hefts zu verdeutlichen. Ansonsten sind wir online natürlich auch auf Facebook unterwegs. Das eignet sich einfach besser für kurzfristige Themen und die Organisation von Veranstaltungen, auf denen wir das Nachhaltigkeitsthema greifbar machen.
Dominik: In der Homepage liegt noch viel Potenzial, dass wir im Moment aus Kapazitätsgründen noch nicht nutzen können. Die Leute erwarten im Web einfach zusätzliche Fotogalerien, Videos oder sonstige Extrainhalte. Dahin soll es auch langfristig gehen. Dem steht momentan noch im Weg, dass sich die Homepage noch schwerer finanzieren lässt als das gedruckte Heft.
Wie sehen eure Pläne für die Zukunft aus?
Lennart: Bisher haben wir die Magazine immer persönlich zu den Abgabestellen gebracht. So bekamen wir gutes Feedback, aber das kostet einfach auch viel Zeit. Deshalb lassen wir uns künftig beim Vertrieb unterstützen. Auch Abo-Modelle und die Ausweitung unseres Verbreitungsgebiets sind angedacht.
Dominik: Wir haben sogar schon Anfragen bekommen, ob es Übermorgen nicht auch in anderen Städten geben könnte. Leider haben wir keine Klone von uns, die wir nach München schicken könnten, sodass sie das Magazin dort aufbauen können. Außerdem würden uns dort die Szene-Kenntnis und das Netzwerk fehlen. Aber wenn es da Leute gibt, die eine ähnliche Haltung haben wie wir, dann wäre durchaus auch ein Franchise-Modell denkbar.