Sprachpäpste, Textchefs und Kommunikationsgurus haben viele gute Tipps auf Lager. Aber auch von dreijährigen Kindern kann man eine Menge über gute Texte lernen. Drei Beobachtungen.
Süß und witzig, wenn kleine Kinder sprechen lernen und dabei über die Unregelmäßigkeiten der Grammatik stolpern: „Mama hat mir das gegebt“, „Hilf mir, das zu aufmachen“, „Schau mal die zwei Hünde“. Kinder versuchen vom ersten Lebenstag an, in dem ganzen Geplapper der Erwachsenen einen Sinn zu erkennen, legen immer feinere Kategorien an und praktizieren den Analogieschluss: ein Hahn – zwei Hähne, ein Hund – zwei Hünde. Kinder gehen also logisch an die Sache ran. Und darum können wir von ihnen viel darüber lernen, wie das Zusammenspiel von Gehirn und Sprache abläuft. Der Alltag mit kleinen Kindern bietet immer wieder Gelegenheit, zu entdecken, was einen guten Text ausmacht. Hier drei Beobachtungen dazu:
1Ein Nein ist ein kleines Ja
Die süße Kleine stromert durch die Wohnung, plötzlich greift sie in den Blumentopf, holt sich eine Handvoll Erde und holt zum Wurf aus. Sie rufen: „Nicht werfen, nicht werfen!“ Das Kind zögert kurz – und wirft. Warum ist das so? Negationen können wir mit zunehmendem Alter zwar abstrakt verstehen, aber unser Gehirn ist fundamental unfähig, etwas nicht zu denken. Gesagt, gedacht, getan. Das Kinderhirn hört: „Nicht WERFEN, nicht WERFEN!“ und schon wird die Wurfbewegung ausgelöst. Kein Wunder, dass das Kind Sie danach oft stolz angrinst – Sie haben es schließlich gerade angefeuert!
Das Gehirn kann nicht nicht denken.
„Nicht“, „kein“, „un-“ und andere Negationen stören also die Kommunikation, weil unser Gehirn immer zuerst die Sache denkt, um sie anschließend umständlich zu verneinen. Das gilt auch für Ihren Text: Wenn Sie schreiben „Mit diesem neuen Werkzeug gibt es endlich keine Umrüstzeiten mehr“, ist der tiefe Gedanke, den Sie damit im Gehirn des Lesers anlegen „Neues Werkzeug! Umrüstzeiten!“.
Wie hält man sein Kind also davon ab, Blumenerde auf dem Teppich zu verteilen? Rufen Sie: „Halt das fest!“. Jede Wette, dass es funktioniert! Denn positive Aussagen wirken immer besser als negierte. Für Ihren Text heißt das: „Mit diesem neuen Werkzeug haben Sie mehr Zeit für andere Dinge.“
2Lies mal, wer da spricht
Ihr Kind sitzt auf Ihrem Schoß und Sie lesen eine Geschichte vor, in der Maus und Bär ein kleines Abenteuer zusammen erleben. Um die Geschichte lebendig zu machen, brummen Sie, wenn der Bär spricht und piepsen, wenn die Maus etwas sagt. Viele Kinderbücher stellen Ihnen dann aber gemeine Fallen:
Die Maus sagte zum Bären: „Da liegt ein Picknickkorb auf der Wiese!“ Sie schlichen vorsichtig hin. „Lass uns doch einmal nachschauen, was da drin ist“, sagte der Bär.
Natürlich haben Sie den letzten Satz mit der Mäusepiepsstimme vorgelesen.
Wenn wir einen Text lesen, lesen wir ihn uns immer selbst vor, im Grunde wie ein Erstklässler, nur dass wir dabei still sind. Wir hören also Stimmen im Kopf, ordnen sie Personen zu und sind verwirrt und verärgert, wenn die Stimme unangekündigt wechselt. Für Kinderbücher wie für journalistische Texte also gilt: Wechselt der Sprecher, muss der Leser das vorher erfahren – immer.
3Gib mir ein Bild
Manche Autoren denken offenbar, dass Kinder gerne Geschichten lauschen, in denen hauptsächlich gesprochen wird – ein endloses Gelaber. Doch Kinderpupillen weiten sich immer dann, wenn etwas geschieht. Alle Menschen – nicht nur die kleinen – sehnen sich nach Verben, genauer: nach starken Verben, die Bewegung in die Geschichte bringen: rennen, weinen, stoßen, platzen, schnaufen, stinken, reißen, tapsen und so weiter. Da hat das Gehirn ein Bild, da passiert etwas.
Viel zu viel Gelaber
Viel zu oft lesen wir hingegen, wie Menschen berichten. Aber wir sehen sie nie etwas tun. Viele Unternehmenspublikationen pflegen zudem die aus den Amtstuben bekannte Lust an der Abstraktion. Da wird installiert, produziert, festgestellt, Wartungsarbeiten werden durchgeführt oder Projekte koordiniert. Alles Ausdrücke die kein Bild anregen.
Ein Beispiel: „Der Mitarbeiter überprüft in Stichproben die Qualität der Bauteile.“ Hier könnte auch stehen: „Der Mitarbeiter greift sich aus jeder Kiste ein Bauteil heraus, dreht es in den Händen und schaut es genau an. Wenn alles in Ordnung ist, legt er es wieder zurück.“ Jetzt sehen Sie, was er macht.
Machen Sie den Praxistest und Sie werden sehen: Mit diesen drei Lektionen aus der Kinderstube bekommen Ihre Texte mehr Leben.