5 Lektionen, die ich beim Filmen fürs Schreiben lernte

Schreiben und Filmen sind zwei Paar Schuhe - trotzdem bringt der Blick durch die Kamera auch Erkennt­nisse für die Arbeit an der Tastatur.

Seit Ende letzten Jahres absol­viere ich ein berufs­be­glei­tendes Master-Studium in Leipzig. Cross­media Manage­ment heißt die Fach­rich­tung, von der ich mir unge­wohnte Perspek­tiven und neue Heraus­for­de­rungen erwarte. Ein Modul, das diese Wünsche mehr als erfüllte, waren die „Grund­lagen der Audio- und Video­technik“. Als Prüfungs­leis­tung drehte ich dafür mit zwei Kommi­li­to­ninnen einen kurzen Film. Von der Konzep­tion über den Dreh bis hin zur Post­pro­duk­tion stand ich als Film-Neuling immer wieder vor neuen Hürden. Beim Darüber­springen und -hangeln habe ich fünf Lektionen mitge­nommen, die mir heute beim Schreiben helfen.

1Sei vor Ort!

recherche-vor-OrtGegen­über Print-Redak­teuren haben Film­crews einen ganz entschei­denden Vorteil: Sie können ihre Bilder nur dort einfangen, wo etwas passiert. Deshalb reisen sie zum Ort des Gesche­hens, riechen, hören, fühlen und schme­cken die Geschichte. Bei der schrei­benden Zunft müssen Artikel aus Zeit- und Kosten­gründen oft auf Basis einer Tele­fon­re­cherche geschrieben werden. Das geht bei kurzen Meldungen oder faktisch-neutralen Arti­keln. Sobald der Text – egal ob Repor­tage, Inter­view, Feature oder Fach­ar­tikel – am Ende aber so bunt wie das echte Leben sein soll, führt an der Recherche vor Ort eigent­lich kein Weg vorbei.

2Schreib ein Dreh­buch

Kein Film­pro­jekt startet ohne Dreh­buch oder zumin­dest Treat­ment, ein redu­ziertes Dreh­buch für die Planung kürzerer Clips. Dort halten Filme­ma­cher fest, wie sie eine Geschichte erzählen wollen, welche O-Töne und Einstel­lungen sie dazu brau­chen und wie lange das alles unge­fähr dauern wird. Auch für einen Print-Artikel hilft es, mit so einem Mini-Dreh­buch zu arbeiten. So kann man bereits durch die Vorre­cherche den eigent­li­chen Recher­che­termin deut­lich effi­zi­enter struk­tu­rieren. Falls die Geschichte erst vor Ort entsteht, hilft das Dreh­buch vor dem eigent­li­chen Schreiben des Arti­kels. So weiß ich genau, wo ich anfange, welchen Weg ich von dort gehe und wo ich am Ende der Geschichte ankommen möchte.

3Sag‘s mit Bildern

show-dont-tellSchon beim Dreh­buch­schreiben müssen Filme­ma­cher für jede Infor­ma­tion die rich­tige Szene oder das rich­tige Bild finden, das die Botschaft trans­por­tiert – und dabei darauf achten, dass keine Text-Bild-Schere entsteht. Das kostet Zeit und braucht Ideen, macht einen richtig guten Film aber erst aus. Beim Schreiben ist es manchmal verlo­ckend, Sach­ver­halte auf einer etwas abstrak­teren Ebene zu beschreiben. Da hilft es, an das Bewegt­bild zu denken und der alten Regel „Show, don’t tell“ zu folgen. Das geht schließ­lich auch mit Worten und macht es außerdem leichter, dem Foto­grafen ein konkretes Brie­fing zu liefern.

4Bleib offen

Auch mit dem besten Dreh­buch und einer gut durch­dachten Planung kann es passieren, dass sich eine Geschichte in eine ganz andere Rich­tung entwi­ckelt als ursprüng­lich gedacht. Das muss kein Drama sein – solange man offen genug ist, sich auf die neue Situa­tion einzu­lassen und bereit, auch die schön erdachte Eingangs­se­quenz zu opfern, wenn sie nicht mehr zum Film passt. Das Gleiche gilt fürs Schreiben. Wenn der für eine große Repor­tage einge­plante Prot­ago­nist im grauen Stan­dard­büro empfängt und einfach nicht viel zu zeigen hat, dafür aber ein Knaller-Zitat nach dem anderen bringt, wird es viel­leicht doch ein Inter­view.

5Du bist frei

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Gerade Film­an­fänger kennen die Situa­tion wahr­schein­lich bestens: Nach einem prall­ge­füllten Drehtag ist die Spei­cher­karte voll mit lauter tollen Einstel­lungen – aber eine wich­tige fehlt. Beim Film ein echtes Problem, das sich nur durch Impro­vi­sa­tion oder mit einem ange­passten Dreh­buch lösen lässt. Ganz anders ist das beim Schreiben. Hier kann ich auf alle Eindrücke zurück­greifen, die ich vor Ort gesam­melt habe und keine Infor­ma­tion fehlt, weil ich bei einer bestimmten Einstel­lung oder einem spezi­ellen Geräusch nicht auf den roten Aufnah­me­knopf gedrückt habe. Unter zwei Bedin­gungen: Ich habe genau hinge­schaut und war tatsäch­lich vor Ort.

Julian Stutz
  • Autor:
    Julian Stutz
  • Datum:
    24.08.2016
  • Lesezeit:
    etwa 4 Minuten

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