Bei meinem Volontärskurs lernte ich einige neue Textregeln. Welche davon kann ich anwenden? Was muss für die Corporate Publishing-Praxis angepasst werden? Der Realitätscheck.
Wir haben doch keine Zeit
„Leser haben keine Zeit – oder sie nehmen sich zumindest keine.“ Das war eine Kernbotschaft des Seminars. Nur sechs Minuten pro Tag beschäftigen sich Menschen mit Zeitschriften. Sie blättern halbinteressiert durch das Heft, schauen Bilder an, lesen Textanfänge. Versteht der Leser dabei etwas nicht, dann ist er weg – für immer. Die wichtigste Regel für Journalisten lautet daher: einfach und verständlich schreiben.
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Nur ein Gedanke pro Satz
Möglichst nur einen Gedanke pro Satz schreiben – diesen Leitspruch prägte uns einer der Dozenten beim Seminar ein. Gesagt, getan. An meinem ersten Tag zurück im Büro, überarbeite ich ein Mitarbeiter-Porträt und verpacke verschiedene Gedanken in voneinander getrennte, kurze Hauptsätze. Und prompt packt mein Kollege zwei Sätze wieder zusammen! „Du musst aufpassen, dass du nicht in einen Stakkato-Stil verfällst“, lautet seine Begründung. Er hat Recht. Das ist eine Regel. Subjekt-Prädikat-Objekt. Die kann man auf die Spitze treiben. Da entstehen solche Textabschnitte. Sie sind sehr verständlich. Sie sind aber nicht interessant. Sie sind nicht schön zu lesen. Ich merke mir: Ein Wechsel zwischen kurzen und mittellangen Sätzen ist in der Regel sinnvoll.
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Größeneinheiten vereinheitlichen
Eine verständliche Sprache erreicht der Autor auch dadurch, dass er unterschiedliche Größen in einer Einheit angibt. Statt einen Durchmesser von zwanzig Millimetern und Längen von eineinhalb Zentimetern sowie eineinhalb Metern zu nennen, können alle Größen in Zentimeter umgerechnet werden. So hatte es mir zumindest die Dozentin erklärt. „Das ist nur halbrichtig“, kommentiert ein anderer Kollege meinen Einwand bei der Textkorrektur. „Wichtig ist, dass man sich unter der angegebenen Größe sofort etwas vorstellen kann.“ Zwei Zentimeter sind okay, aber 150 Zentimeter? Da fehlt der Vergleichsmaßstab im Kopf. Die Wahl der richtigen Größeneinheit kann also nicht stur standardisiert werden, sondern hängt immer vom Kontext und der Gewohnheit ab.
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Fach-, Spartensprache und Anglizismen vermeiden
„In einer Welt zunehmenden Kommunikations-Vakuums können Leads nur noch über Awareness in den Communities zu einem wirkungsvollen Dialog motiviert werden.“ Diese etwas willkürliche Aneinanderreihung von Fachwörtern und Anglizismen stammt aus unserem Marketing-Quiz. In Publikumszeitschriften sollte eine derartige Sprache laut Seminar vermieden werden. Einleuchtend, denn verständlich ist sie für Otto-Normal-Leser nicht. Aber Fachmagazine ohne Fachsprache? Da wir im B2B-Bereich viele technische Themen für Industriekunden umsetzen, brauchen wir Fachbegriffe. Schließlich möchte der fachkundige Leser nicht die Geschichte von einem Lüfter, sondern von einem kompakten Radiallüfter mit dreiphasigem EC-Motor lesen, damit er ein Bild vor Augen hat. „Highlights“, „Downloads“ oder „Meetings“ können trotzdem zuhause bleiben.
Let me entertain you
Journalistische Texte sollen auch unterhalten. Das gilt besonders für die klassischen Magazin-Formate Reportage, Interview und Porträt. Die zweite Hauptregel aus dem Magazinjournalismus lautet also „Halte deine Leser bei Laune“.
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Sprachstil variieren
Leser langweilen sich schnell. Damit das nicht passiert, setzen Journalisten auf sprachliche Abwechslung. Wir sollen also, so lernten wir, Perspektive, Tempo und Sprachduktus variieren. Eine Reportage ist gut, wenn sich sprachliche Nahaufnahmen und Weitwinkel, hektische Szenen und ausführliche Landschaftsbeschreibungen sowie nüchterne Sprache und blumige Ausführungen abwechseln. Doch auch hier gibt es ein ‚Aber‘. „Der erste Absatz bestimmt den Stil des ganzen Textes“, erklärt mir mein Kollege, nachdem er meine Reportage studiert hat. „Nach einem nüchternen Einstieg, darfst du im Hauptteil nicht flapsig schreiben – das irritiert den Leser.“ Ausnahmen sind Zitate, die den Charakter des Protagonisten widerspiegeln. Gar nicht so einfach, diese Abwechslung!
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Synonyme verwenden
Sagt X, sagt Y, sagt Z – wer den Leser bei Laune halten will, sucht lieber nach Synonymen zu häufig gebrauchten Worten. Ich versuche also in meinem Text möglichst viele der 86 Synonyme von „aussagen“ bis „säuseln“ unterzubringen, die wir im Seminar gesammelt hatten. Da schreitet mein Kollege ein: „Wiederhole lieber einen treffenden Ausdruck, als eine schiefe Alternative zu wählen. Ein Protagonist kann durchaus mehrmals etwas sagen, wenn die Alternativen gerade nicht passen“, röhrt er. Also erst mal kein „nuscheln“, „murmeln“, „glorifizieren“ – und dabei hatten wir im Seminar so schön „gebrainstormt“.
Fazit: Keine Regel ohne Ausnahme
Die allgemeinen Textregeln des Journalismus gelten auch für das Corporate Publishing. Doch: Keine Regel ohne Ausnahme. Wer einfach, präzise, abwechslungsreich und unterhaltend schreiben will, muss abwägen. Versetzt man sich stets in seine Zielgruppe, dann hat man schon halb gewonnen. Ganz egal, um wen es sich dabei handelt.