Ein Inter­view, um Demo­grafie zu deuten

Im Inter­view mit Prof. Thomas Straub­haar nähert sich Magaziniker-Redak­teur Florian Burk­hardt der Demo­gra­phie und ihren Begleit­erschei­nungen an.

Die Demo­grafie ist dieser Tage Drohung oder Verhei­ßung – je nachdem wen man fragt. Für unsere Zukunfts­platt­form 6.0 haben wir Professor Thomas Straub­haar* von der Univer­sität Hamburg gefragt, der im Inter­view mit Magaziniker Florian Burk­hardt Antworten gibt. Wiederum im Inter­view wollten wir von Florian nun mehr über das Wieso, Weshalb und Wie wissen.

Florian, warum Demo­grafie?

Wir wollen ja in die Zukunft blicken. Und beim Blick in die Zukunft kann man ganz schön pein­lich dane­ben­liegen: „2018 tragen alle Google-Glass-Brillen, um 2000 herum gibt es perma­nente Sied­lungen auf dem Mond, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wird es keine bedeu­tenden ideo­lo­gi­schen Konflikte mehr geben.“

Es kam anders. Also suchen wir uns halt ein ebenes Feld, auf dem wir mit unserem Fern­glas weit in die Zukunft sehen können. Ohne Gefahr zu laufen, allzu sehr in die Irre zu denken. Und das ist die Demo­grafie.

* Thomas Straub­haar

Thomas Straub­haar ist Ökonom und Migra­ti­ons­for­scher und derzeit Professor für Inter­na­tio­nale Wirt­schafts­be­zie­hungen der Univer­sität Hamburg. Er ist Kolum­nist für Die Welt und Autor mehrerer Sach­bü­cher zu den Themen demo­gra­fi­scher Wandel, bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen und Digi­ta­li­sie­rung.

Wir können zwar auch nur plau­sibel schätzen, wie viele 5-jährige es 2040 auf der Welt geben wird. Aber wir können dafür sehr genau sagen, wie viele 30-jährige es 2040 geben wird. Denn diese Menschen sind heute schon geboren und gezählt. Eine sich halb­wegs konstant entwick­lende Lebens­er­war­tung natür­lich voraus­ge­setzt.

Klar, ein Atom­krieg könnte unsere schöne Berech­nung zunich­te­ma­chen. Aber wenn uns die Bombe auf den Kopf fällt, wird uns dieser Irrtum eh nicht weiter betrüben. Demo­grafie ist also eine ziem­lich klare und lang­fris­tige Ange­le­gen­heit und daher ein zuver­läs­siges Fern­glas für den Zukunfts­blick.

Schön, dass die Demo­grafie verhält­nis­mäßig zuver­lässig in ihren Prognosen ist. Aber ist sie deswegen auch wichtig?

Wir können mit Sicher­heit annehmen, dass es 2040 in Deutsch­land immer noch Ratten großer Zahl geben wird. Aber hilft uns das, einzu­schätzen, wie die Zukunft der deut­schen Indus­trie aussehen wird? Nein.

Wirt­schaft, Wohl­stand und Fort­schritt sind an das Vorhan­den­sein mensch­li­cher Leiber gebunden.

Bei der demo­gra­fi­schen Entwick­lung sieht das anders aus. Denn es hier geht es um die Exis­tenz von Menschen. Wirt­schaft, Wohl­stand und Fort­schritt sind an das Vorhan­den­sein mensch­li­cher Leiber gebunden. Ein fase­riges Gehirn muss Füßen aus Fleisch in einen Inno­va­ti­ons­work­shop getragen werden. Die Demo­grafie erlaubt uns Prognosen über Anzahl, Alter und begrenzt auch Vertei­lung dieser fase­rigen Hirne. Das sind hoch­re­le­vante Größen, die eine künf­tige Wirt­schaft und Gesell­schaft defi­nieren. Aber Achtung! Die Demo­grafie hat auch ihre Grenzen, wie ich schmerz­lich erfahren musste

Grenzen?

Anfangs hielt ich die Demo­grafie für eine inter­es­sante Erklä­rungs­wis­sen­schaft. Sie wird uns einen wich­tigen Teil der Zukunft enthüllen! Leider stimmt das nicht. Je mehr ich recher­chierte, desto klarer wurde mir, dass auch die Demo­grafie keine Antworten auf die inter­es­sante Frage hat: Wie werden wir leben?

Ich gebe mal ein Beispiel. Man kann mit großer Sicher­heit vorher­sagen, dass 2040 in Deutsch­land sehr viel mehr alte Menschen als heute leben werden und auch, dass es sehr viel mehr alte Menschen als junge Menschen geben wird. Mit dieser Prognose konfron­tiert, liest man dann oft: Fach­kräfte – die werden FEHLEN! Oder: Das Renten­system – das wird ZUSAMMENBRECHEN, wir brau­chen mehr private Vorsorge. Oder: Wir brau­chen mehr Einwan­de­rung – wer soll denn noch ARBEITEN? Und und und.

All das sind poli­ti­sche Meinungen, die zwar eine demo­gra­fi­sche Prognose satteln, aber dann darauf ins Phan­ta­sie­land reiten. Fakt ist: Wir wissen über die Zukunft nichts. Und daran kann auch die Demo­grafie nichts ändern. Alternde Gesell­schaft – wir wissen ja noch nicht mal, ob das ein Problem oder ein Segen ist. Das hängt nämlich von ganz verschie­denen Faktoren ab, aber eben nicht von der Demo­grafie. Es hängt davon ab, wie die Gesell­schaft Wohl­stand, Zusam­men­leben und Arbeit defi­niert und orga­ni­siert. Die Demo­grafie liefert maximal den Rahmen. Aber wir kennen das Bild nicht. Dieses malt jede Gesell­schaft selbst.

All das sind poli­ti­sche Meinungen, die zwar eine demo­gra­fi­sche Prognose satteln, aber dann darauf ins Phan­ta­sie­land reiten

Wie meinst du das?

Viele Alte, wenige Junge: Die Jungen schaffen sich den Rücken krumm und die Alten werden ob ihrer demo­kra­ti­schen Macht in luxu­riösen Sana­to­rien umpflegt. Oder: Die Alten werden in Armut gestürzt und im Stich gelassen, während die Jungen sich in der virtu­ellen Realität vergnügen. Oder irgendwas dazwi­schen. Oder auch: Die Maschinen erschaffen den Wohl­stand und die Menschen fischen, jagen und kriti­sieren – so wie sie gerade Bock haben. Wir wissen es nicht.

Demo­grafie heißt also Inter­pre­ta­tion? Warum hast Du Prof. Thomas Straub­haar um eben­jene gebeten?

Da es natür­lich doof ist, wenn ich einen Artikel schreibe, der sagt „Tja, weiß au net“, wollte ich jemanden fragen, der kühn genug ist, die demo­gra­fi­schen Daten zu analy­sieren und sich damit ein wenig aus dem Fenster zu lehnen. Aber nicht so weit, dass er in die Tiefe stürzt, wie die vielen anderen Unter­gangs­pro­pheten (siehe oben). Gesucht war also eine maßvolle Kühn­heit.

Die fand ich bei Prof. Straub­haar, einem Schweizer in Hamburg. Er ist publi­zis­tisch unter­wegs und nicht nur in den Säulen­hallen der Akademie. Und er ist grund­sätz­li­cher Opti­mist. Darum war genau der rich­tige Inter­view­partner für 6.0.

Dein persön­li­ches Fazit?

Wir haben uns mit demo­gra­fi­scher Brille ein biss­chen in die nahende Zukunft getastet. Schön ist, dass wir uns mit Straub­haar von der Kata­stro­phen­rhe­torik lösen konnten, die das Thema sonst so oft umspielt. Also: Keine Angst vor der Rent­ner­re­pu­blik. Alles halb so wild.


„Deutsch­land altert, prima“

Wenn Sie wissen möchten, wie Prof. Thomas Straub­haar im Inter­view ins Licht gesetzt wurde und was er über die Demo­grafie sagt, dann können Sie hier den Beitrag „Deutsch­land altert, prima“ lesen.


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