Wenn es darum geht, Geschichten spannend aufzubereiten, können Blatt- und Websitemacher noch was von den Kollegen aus dem Audiosektor lernen.
Schon als Bub wusste ich, dass ich einmal Geschichten erzählen würde, entweder als Schreiberling oder als Radiomacher. Nachdem ich mir meine Stimme zum ersten Mal auf Kassette angehört hatte, verlegte ich mich schnell auf ersteres. Trotzdem bin ich dem Medium Radio immer verbunden geblieben.
Ob beim Bilder sortieren auf der Arbeit oder daheim beim Wäsche zusammenlegen, man sieht mich so oft wie möglich mit Kopfhörern auf den Ohren. Ich schöpfe dabei aus dem sprudelnden Quell spannender Podcasts im Internet. Großartige Formate gibt es mittlerweile für jedes Thema, von Weltwirtschaft über Atomphysik bis hin zum Kuchenbacken.
Aus ihnen allen lassen sich wichtige Lektionen übers Storytelling lernen, die sich auch wunderbar auf ein Kundenmagazin oder eine Mitarbeiterzeitung übertragen lassen. Zehn besonders nützliche Beispiele habe ich hier für Ihr Hörvergnügen zusammengestellt.
Kurze Vorwarnung: Fast alle vorgestellten Formate sind auf Englisch. Deutsche Podcasts und Radioformate sind meistens so spröde wie ein vergessener Blätterteig.
1. The Moth
Storytelling in Reinform: Bei den „The Moth“-Veranstaltungen stellt sich eine Person mit Mikro auf die Bühne und erzählt dem Publikum einen spannenden Schwank aus ihrem Leben. Klingt simpel, die Storys sind aber im Vorfeld minutiös ausgearbeitet. Hier gibt es viel zu lernen, etwa wie man seine Zuhörer schnell in seinen Bann zieht oder wie eine Spannungskurve aussehen muss.
2. RISK
Ähnliches Format wie „The Moth“, „RISK“ bewegt sich aber thematisch oft jenseits der Schranken der politischen Korrektheit. Die Show beschreibt sich selbst so: „Where people tell true stories they never thought they’d dare to share in public.“ Das bedeutet, viel Sex, Drugs & Rock’n’Roll, trotzdem (oder gerade deswegen?) aber sehr spannend!
3. Snap Judgment
„Snap Judgement“ geht einen Schritt weiter als die beiden vorherigen Formate. Die Produzenten holen alles aus den Geschichten heraus, was die Soundkiste hergibt. Geräusche und Musik vereinen sich mit Interviewschnipseln oder Narrationen zu einer hochpolierten Einheit. Wichtige Lektion dabei: Keine Geschichte ist wie die andere aufbereitet, sondern immer so wie es ihr Inhalt verlangt.
4. Radiolab
Eine „Sendung mit der Maus“ für Erwachsene. „Radiolab“ befasst sich mit hochkomplexen wissenschaftlichen Themen wie Quantenphysik oder Künstliche Intelligenz. Das kongeniale Moderatorenduo Jad und Robert beweist, dass man dabei in kein Fachblabla verfallen muss. Mit bewusst gesetzten Wiederholungen und möglichst simplen Worten (aber nie den Zuhörer für doof verkaufend), gehen sie jeder Geschichte auf den Grund.
5. Planet Money
Der Wirtschaftsteil einer Tageszeitung kann eine zähe Angelegenheit sein. „Planet Money“ ist das genaue Gegenteil: Statt einfach den Erklärbär zu spielen, schwärmen die Reporter aus und versuchen – wie jüngst zur Griechenlandkrise – möglichst aussagekräftige Geschichten mit starken Protagonisten zu finden. Der Blick auf die Mikroebene offenbart dabei Erkenntnisse über die großen Probleme.
www.npr.org/blogs/money (Update 2022: leider offline)
6. Freakonomics
Ebenfalls mit Wirtschaft beschäftigt sich „Freakonomics“, allerdings konzentrieren sich der Journalist Stephen Dubner und der Ökonom Steven Levitt vor allem auf die Analyse von Daten. Klingt richtig dröge? Ist es aber nicht! Denn auch hier werden die Ergebnisse an Geschichten von Menschen aufgehängt.
7. 99% Invisible
Super Häppchen für zwischendurch: Smoothtalker Roman Mars beleuchtet unbekannte und unsichtbare Aspekte aus Design und Architektur. Themen rangieren von der Geschichte sowjetischer Derivate amerikanischer Lifestyle-Artikel bis zu Kontroversen um die Flagge von San Francisco. „99% Invisible“ steht hier außerdem stellvertretend für die Mitglieder des Podcasts-Netzwerks „Radiotopia“, die hier alle ihren Platz verdient hätten.
8. This American Life
Wer sich mit Podcasts beschäftigt, kommt an „This American Life“ nicht vorbei. Produktionstechnisch wirklich das absolute Nonplusultra, jede Geschichte ist genau auf den Punkt erzählt. So gut, dass sie auch diesen gestandenen Redakteur oft genau ins Gefühlszentrum treffen.
9. Serial
War kurzzeitig mal DAS Thema in Amerika. „Serial“ ist ein Ableger von „This American Life“. Im Gegensatz zu seinem großen Bruder behandelt eine Staffel ausschließlich eine Geschichte. Im Falle der ersten Folgen geht es um einen ungeklärtem Mordfall. Das zeigt eindrucksvoll, dass eine Geschichte genau den Raum bekommen sollte, der ihr zusteht. Sendezeiten (wie auch Seitenzahlen) müssen eine untergeordnete Rolle spielen.
10. Einhundert
Wenigstens ein heimisches Beispiel soll es auf diese Liste schaffen: Die öffentlich-rechtliche Welle „DRadio Wissen“ versucht sich an einem eigenen kleinen „This American Life“. Das ist … nett. Alle Beteiligten geben sich redlich Mühe, allerdings verströmt die Sendung irgendwie den pseudointellektuellen Mief einer Studentenkneipe. Aber hey, wann waren Sie das letzte Mal in so einer Schänke? Einfach mal reinschalten!