Langsamkeit gilt in der Medienbranche nicht unbedingt als Tugend, Verspätung schon gar nicht. Außer man ist ein Magazin, das statt Stories in Echtzeit durchzuhecheln, erst einmal das Ende der Geschichte abwartet. Delayed Gratification ist so ein Magazin.
Hier wird der langsame Journalismus zelebriert. Die Redaktion fischt Geschichten aus dem Nachrichtenstrom und erzählt, was daraus geworden ist. Das ist eigentlich keine Neuerfindung. Es ist das, was Magazinjournalismus schon immer war: langsamer, gründlicher und bunter als Nachrichtenjournalismus. Nur machen es die Briten mit radikaler Konsequenz entlang dieser Idee, mit viel Nutzwert – und dem einen oder anderen Augenzwinkern.
1. Zeitlos: Statt Geschichten zu teasern und damit dem „Aufregend! Exklusiv! Neu!“-Konzept zu folgen, ziert die Titelseite ein Kunstwerk. Seine einzige Aufgabe ist, das Heft gut und schlau aussehen zu lassen. Ziel erreicht.
2.So geht‘s: Ein Heft für ein Quartal. Ein Kapitel für einen Monat. Und Kalenderdaten statt Seitenzahlen. Im „Beginners Guide“ steht wie das Heft funktioniert.
3.Vorsortiert: Das Inhaltsverzeichnis bietet mehr, als die üblichen Verweise. Es sortiert die Artikel nach Länge und Tiefgang. Wer zur Unterhaltung ein kleines Informationshäppchen schnabulieren möchte, orientiert sich rechts oben. Wer richtig was zum Beißen will, guckt links unten.
4.„Quak“: Angela Merkel hat eine erotische Novelle aus Ihrer Jugendzeit veröffentlicht? Sparen Sie sich die Suche auf der CDU-Website und nehmen Sie‘s mit (britischem) Humor.
5. Virtuos: Einmal Prince entspricht Elton John plus Meatloaf plus Blondie. Das Heft wartet mit jeder Menge spannender Infografiken auf, wie zu absurden Preisen im Showbusiness. Gutes Magazinerlebnis ist, wenn wir keine Ahnung davon haben, was wir eigentlich alles wissen wollen.
6. Einblick: Ein Bericht über das türkische Dorf wo drei Monate zuvor 301 Minenarbeiter bei einer Explosion ums Leben kamen. Ein Beispiel dafür, was das Magazin leistet: keine Nachrichten in Echtzeit, sondern Bedeutungssuche. Hier wird Langsamkeit zur Tugend weil der Abstand neue Perspektiven ermöglicht.
7. Geschummelt: Meist reichen ein paar Eckdaten und die richtigen Buzzwords, um Eindruck zu schinden. Wer also keine Zeit zum Lesen hat, kann sich auf der „Cheat Sheet“ munitionieren. Oder vielleicht doch ins Heft (ver)führen lassen? Ein intelligenter Heftausstieg.
Und falls Sie das Magazin nun einmal selbst lesen möchten, müssen Sie entweder bis zum nächsten England-Urlaub warten oder es sich direkt unter www.slow-journalism.com bestellen.