Unsere Sprache weckt falsche Assoziationen und festigt veraltete Rollenbilder, sagt Journalistin und Dozentin Dr. Caroline Mayer. Wie wir das mit geschlechtergerechter Sprache ändern, ohne den Leser zu stören, erklärt sie im Interview.
Was heißt Gendern?
Gendern oder geschlechtergerechte Sprache heißt, dass wir beim Sprechen und Schreiben Formulierungen wählen, die alle Geschlechter einbeziehen. Wir versuchen also, das generische Maskulinum zu vermeiden. Denn die männliche Sprachform umfasst grammatikalisch zwar Männer und Frauen, weckt aber häufig falsche Assoziationen.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Nehmen wir den in den letzten Monaten häufig gehörten Satz: „Wir bedanken uns bei den Ärzten und Krankenschwestern für ihren unermüdlichen Einsatz in der Corona-Krise.“ Viele, die diesen Satz hören, werden vor ihrem geistigen Auge männliche Ärzte sehen – nur wenige werden auch an Ärztinnen denken, auch wenn sie im Wort „Ärzte“ grammatikalisch enthalten sind. Dadurch verfestigten sich in unseren Köpfen alte Rollenbilder: Männer haben die weiterführende Ausbildung, verdienen mehr Geld, Frauen stehen eine Stufe zurück. In diesem Fall ist die Aussage zudem unvollständig, denn sie schließt alle männlichen Krankenpfleger aus.
„Immer mehr Zielgruppen stören sich daran, wenn ein Text ausschließlich im generischen Maskulinum verfasst ist.“
ZUR PERSON
Dr. Caroline Mayer befasste sich vor 19 Jahren für ihre Doktorarbeit zum Thema „Political Correctness“ erstmals mit feministischer Sprachkritik. Als in ihren Schreibseminaren bei der Akademie der bayerischen Presse immer häufiger nach dem Gendern in Texten gefragt wurde, entschloss sie sich, dafür einen separaten Kurs anzubieten.
Ihr nächstes Webinar „Gendern leicht gemacht“ findet am 30. September statt.
Sollten also alle Medien gendern?
Die Diskussion um das Für und Wider einer geschlechtergerechten Sprache gibt es schon seit 40 Jahren. Da ist eigentlich alles gesagt. Neu ist, dass das Thema inzwischen im Mainstream angelangt ist: Wir lesen gegenderte Sprache in Zeitungen und Publikationen von Behörden oder hören sie im öffentlich-rechtlichen Radio. Immer mehr Zielgruppen stören sich daran, wenn ein Text ausschließlich im generischen Maskulinum verfasst ist. Die Frage lautet für mich daher nicht mehr: Sollten wir gendern? Sondern: WIE gendern wir, ohne dass es den Lesefluss stört oder unsere Leserschaft nervt?
Gilt das auch für Industrieunternehmen?
Es gibt viele Unternehmen, die mehr Bewerberinnen möchten, um ihre Stellen zu besetzen. Dann ist es wichtig zu zeigen, dass Frauen dort vorhanden und willkommen sind. Bei der Bildsprache achten Unternehmen darauf bereits. Auf Karriereseiten finden Sie stets Fotos, auf denen auch Frauen abgebildet sind. Die Sprache kann ein weiteres gutes Mittel sein, wenn ich mehr Bewerberinnen ansprechen und für mein Unternehmen gewinnen möchte.
Welche Möglichkeiten gibt es, Frauen in Texten sichtbarer zu machen?
Die einfachste Lösung wäre, das Binnen-I zu verwenden, also „MitarbeiterInnen“ zu schreiben. Das empfehle ich aber nicht. Erstens polarisiert diese Schreibweise stark und zweitens ist sie ziemlich aus der Mode gekommen. Besser ist es, ab und zu Doppelformulierungen zu verwenden, also „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“ zu schreiben. Man kann auch grundsätzlich das generische Maskulinum gebrauchen, aber an einzelnen Stellen im Text überraschend die weibliche Form nutzen. Das sorgt dafür, dass die Leserinnen die Frauen plötzlich vor Augen haben.
Welches andere Ziel kann gendergerechte Sprache verfolgen?
Inzwischen ist das dritte Geschlecht stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt. Die Tendenz geht daher momentan eher dahin, geschlechterneutral zu schreiben, um auch Menschen einzuschließen, die sich nicht als „männlich“ oder „weiblich“ einordnen lassen. Deswegen sehen wir immer häufiger das Gendersternchen, die Gender-Gap und neuerdings auch den Gender-Doppelpunkt wie in „Mitarbeiter:innen“. Weil auch diese Vorschläge stark polarisieren, sollten solche Lösungen aus meiner Sicht die Ausnahme bleiben.
Ich empfehle stattdessen, geschlechtsneutrale Umschreibungen zu finden. Hierfür sucht der Verfassende geschlechtsneutrale Oberbegriffe oder Synonyme, also etwa „Pflegekräfte“ statt „Krankenschwestern“ oder „medizinisches Personal“ statt „Ärzte“, „Team“ statt „Mitarbeiter“. Oberbegriffe klingen manchmal allerdings sehr behördlich, Synonyme passen nicht immer. Eine andere Möglichkeit ist es, zu verbalisieren, also beispielsweise zu schreiben: „alle, die medizinisch und pflegerisch tätig sind“ oder „alle, die im Unternehmen arbeiten“. Eine weitere Option ist die direkte Ansprache: „Sie möchten sich bei uns bewerben?“ statt „Informationen für Bewerber“. Häufig kann ich so das Problem umgehen.
„Die Tendenz geht momentan eher dahin, geschlechterneutral zu schreiben, um alle Menschen einzuschließen.“
Was ist die beste Methode?
Es gibt nicht die eine optimale Art zu formulieren, sondern stets mehrere Lösungswege. Als Autor oder Autorin muss ich immer wieder darüber nachdenken, was für dieses Medium und diesen Text die beste Lösung ist.
Angenommen, ich möchte jetzt in meinem Unternehmen geschlechtergerechte Sprache einführen. Wie gehe ich vor?
Am besten erstellen Sie eine Gender-Guideline, die nicht mehr als ein paar Seiten umfassen sollte. Darin beschreiben Sie, welches Ziel Sie mit der geschlechtergerechten Sprache im Unternehmen verfolgen und führen konkrete Beispiele auf, wie in Texten sinnvoll gegendert werden kann. Nutzen Sie typische Formulierungen aus Publikationen des Unternehmens und aus dem Arbeitsalltag der Leserschaft und zeigen Sie, wie man diese geschlechtsneutral umformulieren kann.
Orientierung bieten die Gender-Guidelines von Universitäten, die oftmals öffentlich einsehbar sind.
WEITERFÜHRENDE LINKS ZUM THEMA:
- https://www.genderleicht.de/: Seite des Journalistinnenbund mit jeder Menge Tipps und Tools zum diskriminierungsfreien Schreiben und Sprechen für Medienschaffende.
- https://geschicktgendern.de/: Sammlung gendergerechter Begriffe. Der Ansatz ist gut, mache Lösungsvorschläge eher mittelprächtig.