Im Corporate Publishing sind Übersetzungen Alltag. Welche Tücken die Übertragung in eine andere Sprache birgt, und was Auftraggeber beachten können, erzählt unsere Übersetzerlegende Stewart Lindemann im Interview.
Herr Lindemann, worauf kommt es bei einer guten Übersetzung an?
Sie soll den Leser ansprechen, die Kernaussagen verständlich machen und Sympathie für den Auftraggeber wecken. Das funktioniert nur, wenn der Text lokalisiert wird, also die Umwelt und Kenntnisse des Lesers berücksichtigt. Er soll den Eindruck haben, dass das ein Text von nebenan ist – und nicht eine Übersetzung aus dem Deutschen.
Ein Vorteil ist natürlich, wenn der Übersetzer auch im Land der Ausgangssprache lebt – oder dort gelebt hat. Ansonsten fehlt oft das Verständnis für viele Redewendungen.
Stewart Lindemann war 40 Jahre lang als selbstständiger Übersetzer tätig. Zu Beginn verdiente er seine Brötchen noch mit der Übertragung von Teilelisten und Bedienungsanleitungen vom Deutschen ins Englische. Doch nach und nach kamen immer mehr Aufträge für Kundenmagazine. So arbeitete Lindemann für Kunden wie Lufthansa, Trumpf und Bosch Rexroth.
Seit 1. Januar 2016 ist der reisebegeisterte Übersetzer im Ruhestand.
Stewart Lindemann ist im Februar 2020 verstorben.
Wie arbeitet ein guter Übersetzer? Welche Werkzeuge setzt er ein?
Zu allererst muss man den Text komplett durchlesen. Dann hat jeder seine eigene Methode. Ich beginne mit den wesentlichen Begriffen und baue darauf die Sätze auf. Den daraus entstandenen Rohtext verfeinere ich dann in drei Redigierläufen: Orthografie, Verständlichkeit, Schönheit. Einige Übersetzer benutzen für die erste Version auch Übersetzungssoftware. Das ist vor allem bei sachlichen Texten hilfreich, wenn es zudem einen Übersetzungsspeicher gibt, in dem die von Kundenseite gesetzten Begriffe hinterlegt sind. Da die Texte und journalistischen Textformate im Corporate Publishing oft variieren, habe ich mich immer auf meinen Karteikasten und mein persönlich erstelltes Glossar verlassen. Ich hatte zudem immer ein ganz besonders wichtiges Werkzeug: Mein Bandwurmsatz-Beilchen. Deutsche Satzungetüme mit 80 Wörtern habe ich damit im Englischen immer klein gehackt.
Wie neutral muss man übersetzen bzw. wie viel Freiheit hat der Übersetzer?
Natürlich soll am Ende rauskommen, was ursprünglich reingeschrieben wurde. Deshalb sollte sich der Übersetzer streng an den Gedankenfluss und die Struktur halten. Dafür hat er in den Formulierungen eine gewisse Freiheit. Bei juristischen Texten oder Staatsverträgen muss man natürlich 1:1 arbeiten.
Wenn ein Text allerdings schon in der Ausgangssprache unverständlich ist, sollte er sofort an den Auftraggeber zurückgehen, denn dann versteht ihn auch der deutsche Leser nicht. Einer meiner Kunden hat einmal gesagt, er würde keinen Text veröffentlichen, den ich nicht vorher übersetzt habe. Denn ich würde ja schließlich immer die Fehler finden.
Ein besonders wichtiges Werkzeug: Mein Bandwurmsatz-Beilchen. Deutsche Satzungetüme habe ich damit im Englischen immer klein gehackt.
Muss ein guter Übersetzer auch ein guter Texter sein?
Unbedingt! Bei Corporate Publishing handelt es sich in der Regel um journalistische Texte. Daher sollte der Übersetzer zumindest Verständnis für journalistische Schreibe, wenn nicht sogar eine journalistische Ausbildung mitbringen. Die Texte sollen ja auch in der Zielsprache den Leser ansprechen.
Was kann der Kunde tun, um zum Gelingen beizutragen?
Er muss zunächst mal verstehen, dass ich in erster Linie für den Leser – also seinen Kunden – übersetze. Deswegen ist es wichtig, den Leserkreis zu definieren. Richtet sich der Text an Engländer, an Amerikaner oder an ein weltweites Publikum? Wer soll den Text lesen: Ingenieure, Einkäufer, Geschäftsführer oder Journalisten? Nur mit diesem Wissen kann ich die richtige Sprache treffen. Darüber hinaus ist es hilfreich, wenn es ein Glossar oder ein Corporate Wording gibt. Und ganz wichtig ist auch eine eindeutige, final abgestimmte Übersetzungsvorlage. Nichts ist ärgerlicher, als ständig neue Textvarianten zu erhalten. Denn das verursacht nicht nur unnötigen Aufwand, sondern erhöht auch die Fehleranfälligkeit.
Ist es für Übersetzer hilfreich, dass so viele Auftraggeber selbst Englisch sprechen – oder ist das eher anstrengend?
Es ist manchmal hilfreich, wenn jemand, der viel in den USA oder England unterwegs ist, auch noch auf die Texte schaut. Denn vier Augen sehen mehr als zwei. Ich habe aber stets darauf bestanden, die letzte Version Korrektur zu lesen, um Fehler ausbügeln zu können. Denn meistens werden Übersetzungen durch nachträglich eingebautes Schulenglisch nicht besser. Da muss man dann mit den Menschen sprechen und seine Übersetzung begründen. Letzten Endes ist kooperatives Arbeiten auch bei der Übersetzung besser als Besserwisserei.
„Public Viewing“ steht in Deutschland für Rudelgucken, im Englischen bezeichnet es die öffentliche Aufbahrung eines Verstorbenen.
Gibt es Kardinalsfehler bei Übersetzungen?
Es gibt einige Fallen. Zum Beispiel die „Falschen Freunde“, also Begriffe, die zwar auf den ersten Blick im Deutschen und im Englischen von der Schreibweise her gleich erscheinen, aber verschiedene Bedeutungen haben. Zum Beispiel „kontrollieren“ und „control“: Im Deutschen war damit eher gemeint, etwas zu beobachten, im Englischen einzugreifen oder zu steuern. Der deutsche Begriff ändert sich jedoch und wird häufig als „steuern“ verwendet. Da ist eine Nachfrage hilfreich.
Und Anglizismen sollte man immer prüfen. Ein schönes Beispiel hierfür ist „Public Viewing“. Was in Deutschland für Rudelgucken steht, bezeichnet im Englischen die öffentliche Aufbahrung eines Verstorbenen. Darüber hinaus sind Klassiker in den unterschiedlichen typografischen Konventionen – beispielsweise Anführungszeichen oder Silbentrennung.
Warum wird man Übersetzer?
Viele Übersetzer sind ursprünglich gar nicht dafür ausgebildet. Ich habe beispielsweise Geschichte und Volkswirtschaft studiert und war Sprachlehrer an einer privaten Schule, habe Fremdsprachenkorrespondentinnen ausgebildet. Mit einer Kollegin habe ich dann nebenbei an einer Sprachschule die Kunst des Übersetzens gelernt. Der Leiter nahm Übersetzungsjobs an, die wir mit umsetzten. Als ich gesehen habe, was unser Chef für die Jobs abrechnete, machte ich mich selbstständig [lacht]. Ich begann mit der Übersetzung von Werkstatthandbüchern eines großen deutschen Automobilherstellers. Das war dann lange mein Brot-und-Butter-Geschäft.
Und Ihre Motivation?
Das mag ein wenig lustig klingen, aber da ich als Amerikaner in Deutschland lebe, wollte ich der hiesigen Wirtschaft und Gesellschaft etwas zurückgeben. Die lebt schließlich vom Außenhandel und die wichtigste Sprache der internationalen Ökonomie ist nun mal Englisch. Ich hatte einfach Lust an Sprachen und Lust auf die Herausforderung, den Lesern technische Zusammenhänge in meiner Muttersprache zu vermitteln.