Der schönste, vor Inhalt nur so strotzende Text, ist nichts wert, wenn ihn niemand liest. Allein: Wo kriegt man ihn bloß her, den Beginn, der den Leser voll auf den Text abfahren lässt? Magazinikerin Eveline hat sich Gedanken gemacht.
Tsch-pf, Tsch-pf, Tsch-pffffff. Ist das etwa das berühmte Erdbeben, das der Hollywood-Produzent Samuel Goldwyn am Anfang eines Filmes sehen und der Journalisten-Guru Henri Nannen am Beginn eines erzählenden Textes lesen wollte? Nein. Aber immerhin haben Sie schon einmal bis hierin gelesen. Der Einstieg ist also gelungen, Sie sind drin im Zug …
Richtig, was da am Anfang steht, ist das Geräusch eines Zuges (zugegeben, zeitgenössische Züge klingen anders, aber versuchen Sie mal, einen ICE nachzuahmen!).
Dass der Anfang dieses Textes lautmalerisch vor sich hin dampft, hat natürlich einen Grund. Sie haben die Head- und Subline dieses Textes gelesen, ließen, in der Annahme, es folge nun ein Text zum Suchen und Finden von guten Texteinstiegen, Ihre Augen zum Textbeginn gleiten – und plötzlich machte es Tsch-pf-, Tsch-pf, Tsch-pffffff. Ziemlich sicher wollten Sie wissen, was es damit auf sich hat, weshalb Sie auch noch den zweiten Satz lasen.
Buh! Oder: Leser richtig abholen
Überraschen ist also schon mal gut, wenn es sich um keinen nachrichtlichen Artikel handelt. Wohlgemerkt: überraschen – nicht verwirren. Tsch-pf-, Tsch-pf, Tsch-pffffff, quieeeeetsch, pffff, „Alles einsteigen, bitte, diese Fahrt geht über Lesingen!“ – wer sich für den überraschenden Einstieg entscheidet, muss den Leser schnell abholen und in die richtige Richtung schicken.
Das bedeutet übrigens auch, dass man die Überraschung am Anfang nicht willkürlich auswählt: Einfach ein „Buh!“ hinschreiben, gilt nicht. Außer natürlich, der Text dreht sich um Halloween oder Hausmittel gegen Schluckauf.
Und damit zurück zum Thema oder wieder rauf auf den Zug: Wie findet man einen einladenden Einstieg? Ich sage: Lasst die Erde am Ende beben, dann wackelt es auch am Artikelanfang so, dass die Leser wissen wollen, was hier los ist.
Am Anfang ist das Ende
Stellen Sie sich einen narrativen journalistischen Text einmal wie eine Reise vor. Kein Einfach-drauf-los-Roadtrip, sondern eine schöne Bahnreise. Und Sie sind die Reiseführerin.
Das erste, was Sie festlegen, ist das Ziel. Das meint nicht, dass Sie sich überlegen sollten, was Sie den Lesern mit dem zu schreibenden Text mitteilen möchten (das sollten Sie natürlich), sondern ganz konkret das Artikelende.
Hat sich bei der Recherche vielleicht eine besonders eindrückliche Szene zugetragen? Hat jemand etwas ungemein Zitierfähiges gesagt? Haben Sie einen knackigen Satz, der im Wortsinn alles auf den Punkt bringt? Da wollen Sie Ihre Rezipienten hinschicken!
Nun überlegen Sie, wie Sie die Reise möglichst spannend gestalten können – mit längeren Aufenthalten und Abschnitten dazwischen, auf denen der Zug Fahrt aufnimmt und die Reisenden die vorbeifliegende Landschaft in sich aufnehmen. So entsteht das Bild, mit dem Sie Ihre Leser durch den Text führen. Und diese Schienen führen zum richtigen Bahnsteig: dem perfekten Einstieg.