Redakteure wissen, wie schwer es sein kann, einen Text zu beginnen. Aber auch, was man dann tun kann. Für meine ersten Texte als Volontärin habe ich mir Tipps von den Kollegen geholt und dabei viel über Schreibstrategien gelernt.
Der erste Satz liest sich leichter als es ist, ihn zu schreiben. Er soll den Leser in den Text ziehen, ein Bild im Kopf entstehen lassen, ein Gefühl vermitteln, es spannend machen, zum Weiterlesen verführen. Der eigene Anspruch ist hoch. Es kommt deswegen vor, dass der Einstieg beim Schreiber regelrechte Blockaden verursacht. Wie man die löst? Indem man Ruhe bewahrt und Schritt für Schritt vorgeht. Denn der erste Satz muss erst halten was er verspricht, wenn der Text fertig ist.
1Chaos? Ordnen!
Die Recherche ist eine Weile her, der Termindruck da. Wenn jetzt die gesammelten Informationen undurchsichtig erscheinen ist es höchste Zeit, den Überblick zu gewinnen und das Chaos zu ordnen.
2Wohin soll das führen?
Als Autor muss man vorher wissen, wo der Text hinführt. Wichtig ist, dies in drei Sätzen zu formulieren. Das ist der sogenannte „Küchenzuruf“, also die These und gleichzeitig die Kernbotschaft des Beitrags. Die sollte man nicht nur im Kopf formulieren, sondern gleich aufschreiben. Dann weicht man später beim Schreiben nicht so leicht davon ab. Der Küchenzuruf dieses Beitrags ist: Diese Strategien helfen, einen Text zu beginnen.
3Die Struktur.
Tipp #1: Mind Map
Den Hauptbegriff des Textes in die Mitte eines großen Blattes schreiben und dann zehn Minuten im Kopf schwirrende Begriffe aufschreiben. Aus diesem Mind Map sind Themenschwerpunkte und Zusammenhänge erkennbar.
Der „flexible Schreiber“ legt jetzt einfach los. Bei dieser Strategie hat der Autor seine Text-Struktur zunächst nur grob im Kopf. Der erste Satz wird eher locker formuliert, der rote Faden entsteht während des ersten Entwurfs und kann sich beim Schreiben ändern, sobald die Situation es erfordert. Der flexible Schreiber hütet sich davor, sich festzulegen oder gar festzufahren.
Die Gefahr: Aus Mangel an einer überlegten Struktur gibt er seinen eigenen Erkenntnisprozess wieder – und der ist meist langweilig. Oder noch schlimmer: Die Geschichte bekommt einfach eine chronologische Abfolge. Besser ist es, sich zu fragen: „Was braucht der Leser?“
Der Leser wird mit einer stimmigen Struktur an die Hand genommen und durch die Geschichte geführt. Aus seiner Sicht soll das Geschriebene Sinn ergeben, seine Fragen müssen beantwortet werden. Wenn er etwas nicht versteht, besteht die Gefahr, dass er aussteigt.
Der „visuelle Redakteur“ braucht das Handschriftliche: skizzieren auf großformatigen Blättern, wischen am Tablet, schreiben auf Karten oder Post-its, zum Hin- und Herschieben, bis die Reihenfolge stimmig ist. Dabei hilft es ihm, den Text gedanklich in verschiedene Szenen einzuteilen – wie im Film. Der Vorteil: Die Kreativität wird beflügelt. Die Struktur ist dann wie ein Storyboard.
Tipp #2: Headline finden
Zwei Begriffe, die den Text ausmachen, aufschreiben. Zu jedem der beiden Begriffe jeweils zehn passende Wörter finden. Jetzt beliebig kombinieren, bis die Headline gefunden ist.
Headline und Teaser können, aber müssen nicht zu Beginn geschrieben werden. Wem partout keine Headline einfällt, hilft der Tipp #2.
4Erstmal selbst redigieren
Wenn der Text geschrieben ist, geht der Autor kritisch über seinen Text. Wie hat er formuliert? Sprachlich aktiv? Gibt es prägnante, kurze Sätze? Kein Nominalstil? Sind Redundanzen oder Wiederholungen gelöscht? Gibt es Brüche in der Struktur, die ausgebessert werden müssen? Nachdem der Autor den Text einmal geprüft hat, sollte er ihn zunächst zur Seite legen und dann, mit etwas Abstand, mindestens ein weiteres Mal redigieren.
Tipp #3: Schnörkellos
Bewusst auf Perfektionismus und überhöhte Selbstkritik verzichten! Es kann sogar nützlich sein, einen Satz für das Rohkonzept erst einmal schnörkellos hinzuschreiben. Auch wenn man sicher sein kann, dass er so nicht da stehen bleiben wird. Und schon ist das Blatt nicht mehr leer.
5Das 4-Augen-Prinzip
Die Kollegen lesen und redigieren den Text. Auch für erfahrene Redakteure ist der „Blick von außen“ notwendig und wichtig. Den Kollegen fallen Sprünge auf, in denen der Leser droht, verloren zu gehen. Zudem bekommt der Autor neue Anstöße und wird manchmal gedrängt, seine persönlichen Lieblingssätze zu streichen. Denn das sind oft die, an denen er sich im Schreibprozess verkünstelt hat.
Und dann?
Erst jetzt, nach dem fünften Schritt, ist der Text final. Und der erste Satz ist ein erster Satz. Es wird deutlich: Schreiben ist ein Prozess, während dessen ein Text geformt wird. Schritt für Schritt nähert man sich dem Ziel. Hemmungen vor dem leeren Blatt sind oft nur eine Angst, die vor jedem, noch so kleinen Neuanfang steht.
Was ist, wenn unsere Strategien nicht helfen und es jetzt trotzdem schwerfällt, den ersten Satz zu schreiben?
- Diskutiere die grobe Struktur mit einem Kollegen. In anderen Köpfen schwirren auch gute Gedanken!
- Oder: Mach bewusst etwas anderes, um deinen Kopf frei zu bekommen. Eine Runde kickern oder Tischtennis spielen, raus an die frische Luft, blättere in einem Magazin oder schau einen kreativen Blog an.
- Hilft alles nix? … Dann will der Text heute nicht geschrieben werden. Morgen kann das schon ganz anders aussehen. Manchmal tut so ein bisschen Zeitdruck ohnehin gut.
Und wenn beim Redigieren auffällt, dass der Text so überhaupt keinen Sinn ergibt?
- … kann ein Neuanfang Wunder bewirken. Ein neues leeres Blatt muss her und ein neuer erster Satz. Das tut zwar weh, aber auf diese Weise ergeben sich manche Knoten gar nicht mehr, die vorher nicht aus dem Text herauszubekommen waren. Das heißt ja nicht, dass vorher alles umsonst war.