Immer wenn von Storytelling die Rede ist, kommt einer mit dem Mythos Heldenreise daher. Bitte hört endlich auf damit! (Storytelling ist trotzdem gut.)
Pardon, aber wir müssen aufräumen. Aufräumen mit dem Mythos vom Mythos.
Vor 70 Jahren schrieb ein amerikanischer Professor ein Buch über Mythen – Joseph Campbell: „The Hero with a Thousand Faces“. Und ungefähr 60 Jahre später haben PR-Menschen die sogenannte Heldenreise entdeckt. Seither kriegen sie gar nicht mehr genug davon und erklären damit die Wichtigkeit von Storytelling.
Der Ursprung aller Geschichten
Campbells zentrale These lautet: Es gebe eine Ur-Struktur von Geschichten, die sich die Menschen vom Anbeginn der Zeit immer wieder in Millionen Varianten erzählen.
Diese Ur-Geschichte sei unterteilt in ganz bestimmte Abfolgen von höchstens 17 „archetypischen“ Stationen: die Heldenreise. Nun will ich wirklich jedem das Buch empfehlen – aus literarischen Gründen. Wenn man Mythen mag, wird es einem gefallen. Darüberhinaus wird man allerdings eher nichts daraus lernen.
Denn Campbell bedient sich für seine Theorie der Psychoanalyse nach Carl Gustav Jung. Und – nochmals pardon – wie alle Psychoanalytiker schüttelt Campbell den Sack voller Begriffe so lange, bis ein Phallus oder ein „ewig Weibliches“ dabei herauspurzelt. Das nennt man dann „Assoziation“.
Baum aus Gottesmutter – schon klar
Campbells Versuche, Ordnung in das Chaos weltweiter Mythen zu bringen, sind löblich, aber auch peinlich. So ist ein „Held“ stets ein „Retter“. Irgendwas zu retten gibt es ja schließlich immer und sei es bloß der Leser, der aus den Klauen der Langeweile gerettet werden muss.
Die Legende von Buddha etwa, der aus der Seite seiner Mutter schlüpft, wird verglichen mit einem Kruzifix, das als Baum aus dem Leib der Gottesmutter Maria wächst, um wasweißich zu beweisen.
Um es klar zu sagen: Nein, so etwas wie eine Ur-Geschichte gibt es nicht.
Aber George Lucas
Spätestens jetzt wird der Storytelling-Dozent erwidern: Aber George Lucas war so inspiriert von der Heldenreise, dass er Star Wars genau nach diesem Schema erzählt hat – und das war schließlich ein Riesenerfolg! (Ganz so, als ob es zwischen den antiken Mythen und Star Wars keine guten Geschichten gegeben hätte.)
Ja, es stimmt: Lucas hat nach Campbells Heldenreise erzählt und in der Folge dann auch viele, viele (viele) andere Regisseure und Autoren. Weil Star Wars ja so erfolgreich war.
Hollywood statt Babylon
Und jetzt wird aus dem Schmu ein Schuh. Unbestreitbar gibt es dramaturgische Kniffe und erprobte Erzählmuster, die zu kennen nicht schadet und die beim Leser oder Zuschauer ziehen. Klar ist eine schwierige, am besten gefährliche Aufgabe eine spannende Geschichte, umso mehr, wenn erst mal ein paar Sachen schief gehen, bevor das Happy End naht.
Das hält den Leser bei der Stange, weil er der Geschichte leichter folgen kann. Denn er erkennt die Muster wieder.
Aber: Wir kennen diese Muster und Schemata von Hollywood und von Bestsellern, von den zahlreichen Filmen und Büchern, die wir in unserer Jugend konsumiert haben – und nicht aus einem mythischen inneren Kern irgendeiner Ur-Geschichte.
Storytelling braucht keinen Mythos
Storytelling ist wichtig, weil es Leser unterhält und ihnen ein schnelles Verständnis ermöglicht. Aber bitte, bitte, liebe Storytelling-Prediger: Hört auf zu behaupten, eure Best-Practice-Kundengeschichten kitzeln den alten Babylonier in uns. Den gibt es nämlich gar nicht.