Online Storytel­ling: Tief, toll, teuer –
ein Format auch für das Corpo­rate Publi­shing?


Die Stutt­garter Zeitung nennt ihr neuestes Online-Stück „Multi­media-Repor­tage“ – andere nennen es „Inter­ak­tives Storytel­ling“, „Web-Special“, „Scrol­lytel­ling“ oder gar „Feier­tags­layout“. Allen gemeinsam ist großer Tief­gang, medialer Funken­flug – und extremer Aufwand.

Die New York Times hat vor zwei Jahren mit „Snow­fall“ eine nie gese­hene Art der Multi­media-Repor­tage vorge­legt: Eine eigene Website – optisch losge­löst von der rest­li­chen Online-Publi­ka­tion – mit einer ausführ­li­chen Repor­tage über ein Lawi­nen­un­glück. Der Artikel bietet lange Texte in ausge­wo­gener Typo­gra­phie, elegante Effekte beim Scrollen, bildschirm­füllende Fotos, einge­bet­tete Filme sowie inter­ak­tive Info­gra­fiken und selbst ablau­fende Anima­tionen.

Der Titel der Repor­tage wurde zum Synonym für modernes Storytel­ling:

to snow­fall a story

Jetzt auch in Stutt­gart

Auch die Stutt­garter Zeitung trat kürz­lich mit „einer großen Multi­media-Repor­tage zu den Luft­an­griffen auf Stutt­gart während des Zweiten Welt­kriegs“ an:

http://extra.stuttgarter-zeitung.de/luftangriffe_stuttgart/

Die gelun­gene Repor­tage präsen­tiert sich als „OnePager“, also auf einer langen Seite, geglie­dert in fünf Kapitel mit Sprung­marken in der Kopf­zeile. Die einzelnen Kapitel werden mit beein­dru­ckenden Panoramen der zerstörten Stadt eröffnet, der Text lädt in großer Schrift zum Lesen ein. Der Story hinterher zu scrollen, um der Chro­no­logie zu folgen wirkt dabei ganz natür­lich. Die beglei­tenden Inter­views mit Zeit­zeugen und histo­ri­sches Film-, Ton- und Karten­ma­te­rial sowie aktu­elle Google Maps Ausschnitte ergänzen die Erzäh­lung ideal. Die Seite ist weitest­ge­hend respon­sive umge­setzt, kann also auch auf dem Tablet oder Smart­phone gut gelesen werden.

Was für ein Aufwand!

Nicht nur die Fach­welt ist begeis­tert vom neuen Erzähl­format der „Snowfall“-Reportage und ihren Nach­fol­gern. Aber ein jour­na­lis­ti­sches Expe­ri­ment mit 16 Mitar­bei­tern, die ein halbes Jahr an Inhalten und neuen Darstel­lungs­tech­niken arbeiten, ist selbst für die große New York Times ein Sonder­fall. Die Zeit nannte die ähnlich aufwen­dige Aufbe­rei­tung ihres Tour de France – Specials darum tref­fend ein „Feier­tags­layout“.

Auf viele bereits für eine Print-Ausgabe geleis­tete Arbeits­tage konnte die Rhein-Zeitung zurück­greifen. Bei der Umset­zung von „Arabel­lion“, der ersten deutsch­spra­chigen „Snowfall“-Reportage, bedienten sich die Macher bei einer vier­tei­ligen Doku­men­ta­tion aus der gedruckten Rhein-Zeitung. Für die attrak­tive Online-Aufbe­rei­tung mit eher redu­zierten medialen Erwei­te­rungen mussten „nur“ drei Mitar­beiter ran.

Die Inhalte der Stutt­garter Multi­media-Repor­tage wurden von einer enga­gierten Volon­tärin in fünf Wochen zusam­men­ge­stellt, die Redak­tion lieferte reich­lich Rat und Tat, die tech­ni­sche Reali­sie­rung über­nahm ein verlags­ei­gener Dienst­leister.

In einer neueren Online-Repor­tage der NewYork Times spielt das geschrie­bene Wort und hoch­wer­tige Foto­grafie eine noch größere Rolle – Multi­media und inter­ak­tive Sonder­for­mate treten dagegen eher zurück. Der Aufwand steckt hier mehr in den (geschätzt) über 30.000 Worten, weniger in der medialen Darstel­lung.

Was Online Corpo­rate Publi­shing davon lernen kann

Dem ernst­haft inter­es­sierten Leser tut die Reduk­tion auf nur ein Thema in seiner ganzen Tiefe gut – eine Erho­lung von schnellen News­häpp­chen und über­vollen Rand­spalten mit bunten Teasern und ablen­kenden Themen.

Der ausführ­liche Artikel wird dabei zum eigenen Lese­stück, einem losge­lösten, mono­the­ma­ti­schen Mini-Magazin. Mit der rest­li­chen Publi­ka­tion ist es nur über die Absen­der­ken­nung in der Kopf­zeile verbunden. Im Text bieten weiter­füh­rende Verlin­kungen dem Leser mehr Tiefe und betten den Artikel nebenbei inhalt­lich in das Gesamt­ma­gazin ein.

Die Surf­ge­wohn­heiten unserer Leser im Corpo­rate Publi­shing passen dazu: Auf den Online-Kunden­ma­ga­zinen unserer Auftrag­geber sehen wir einen hohen Anteil an Besu­chern, die über eine spezi­fi­sche Such­an­frage bei Google direkt in einen Artikel einsteigen und ihn – gemessen an der Verweil­dauer –  wohl auch zu Ende lesen. Die Home­page wird allen­falls danach betrachtet: um einordnen zu können, bei wem man da gelandet ist.

Kunden­magazine haben also durchaus den Content, inter­es­sierte Leser mit spezi­ellen Inter­essen zu bedienen. An die Stelle einer Leser­bin­dung an die Gesamt­pu­bli­ka­tion tritt die Exper­tise in einzelnen Fach­themen, die dem Inter­esse des Suchenden genau entspre­chen.

Für Unter­nehmen bieten solche beson­deren Präsen­ta­tionen die Möglich­keit, ihre Schlüs­sel­themen öffent­lich mit Nach­druck zu besetzen. Ein ausführ­li­cher, fach­lich fundierter und attraktiv aufbe­rei­teter Artikel wird seine Leser finden. Nicht nur steigt die Bereit­schaft zum Weiter­emp­fehlen, auch Such­ma­schinen werden aufgrund der hohen inhalt­li­chen Dichte den Artikel höher bewerten und zu wirk­lich passenden Suchen anzeigen.

Der Einstieg ist nicht schwer

Beginnen Sie mit einer guten Geschichte – damit haben Sie bereits das wich­tigste Element. Viel­leicht gibt es schon vorhan­dene Inhalte die Sie ausbauen können. Wider­stehen Sie der Feature-itis – setzen Sie so wenig unter­schied­liche Darstel­lungs­ef­fekte wie möglich ein und nur solche, die wirk­lich helfen, den Inhalt zu verstehen.

Als tech­ni­sche Basis benö­tigen Sie eine flexible CMS-Soft­ware mit vielen fertigen PlugIns für zeit­ge­mäße Präsen­ta­tionen. Das System muss Sonder­lay­outs inner­halb Ihrer Website erlauben und im Zweifel auch mal die Frei­heit lassen, Inhalte von fremden Diensten direkt im Quell­code einzu­binden. So kann ein Web-Special auch mit über­schau­barem Aufwand funk­tio­nieren.

Claus Schöffel

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