Eine kurze Geschichte der Info­grafik


Mit visu­ellen Formaten lassen sich Fakten, Daten und komplexe Sach­ver­halte deut­lich schneller erfassen. Doch wie setze ich eine Info­grafik in der Praxis um?


„Eure Soldaten sterben nicht am Krieg sondern am Kran­ken­haus“: Mit einer Info­grafik über­zeugte Florence Night­in­gale vor 170 Jahren die briti­sche Armee davon, die hygie­ni­schen Bedin­gungen in Kran­ken­häu­sern zu verbes­sern. Blau stellt die Todes­fälle durch Infek­tionen dar, rot die Anzahl der Toten, die ihren Verwun­dungen erlagen und schwarz dieje­nigen, die aus anderen Gründen starben.

Aus der Geschichte: Wie eine Info­grafik nach einem Krieg tausende von Leben rettete

Zu Beginn eine kleine Geschichte aus dem 19. Jahr­hun­dert: Es tobt der Krim­krieg zwischen Russ­land und dem Osma­ni­schen Reich, invol­viert sind auch Frank­reich und Groß­bri­tan­nien. In einem Feld­la­za­rett in der Nähe von Istanbul versorgt die briti­sche Pfle­ge­kraft Florence Night­in­gale verwun­dete Soldaten. Die hygie­ni­schen Zustände sind kata­stro­phal und Night­in­gale macht die Beob­ach­tung, dass viele Pati­enten nicht ihren Verlet­zungen aus den Kampf­hand­lungen erliegen, sondern den Infek­tionen, die sie sich im Kran­ken­bett einholen.

Sie fängt an, diese Zusam­men­hänge akri­bisch zu notieren und die Daten über die Morta­lität zu sammeln. Zurück in England fasst sie ihre Erkennt­nisse in einem Bericht zusammen – sie möchte errei­chen, dass sich die Pflege in den Kran­ken­häu­sern gene­rell verbes­sert.

Um die moderne Kran­ken­pflege zu erfinden, erfindet Night­in­gale zuerst die moderne Info­grafik

Um ihren Argu­menten mehr Gewicht zu verleihen, über­legt sie sich, wie sie die gesam­melten Daten so visua­li­sieren kann, dass sie für jeden schnell zu erfassen sind. Also erfand sie das bis heute häufig genutzte „Polar Area Diagram“, in dem sie die verschie­denen Todes­ur­sa­chen der Soldaten aufzeigt.

Diese Darstel­lung über­zeugte und Night­in­gales Ideen revo­lu­tio­nierten das Gesund­heits­wesen. Ihr ist es zu verdanken, dass die Sterb­lich­keit in den Kran­ken­häu­sern deut­lich sank, weil mehr Augen­merk auf die Hygiene und die Ausbil­dung der Pfle­ge­kräfte gelegt wurde. Gibt es ein stär­keres Argu­ment für die Wirkung von Info­gra­fiken?

Gute Info­gra­fiken erzählen immer eine Story

Welt­raum und Zukunft statt histo­ri­sche Kriege und Feld­la­za­rette: Die Pulp-Fiction-Scifi-Reihe Perry Rodan umfasst weit über 3000 Hefte, zahl­lose Hand­lungs­tränge, hunderte von Völkern, mehrere Dimen­sionen und reicht zigtau­sende Jahre in Vergan­gen­heit und Zukunft. Wetten, dass es trotzdem gelingt, das alles auf 12 Seiten so zu erzählen, dass danach jeder bei einem Knei­pen­abend mitreden kann? Eine Wette die sich mit info­gra­fisch und visuell stark aufbe­rei­tetem Storytel­ling auf jeden Fall gewinnen lässt.


Wann sind Info­gra­fiken die rich­tige Wahl?

Text­ver­ar­bei­tung im Gehirn ist schnell, schneller oft als Symbol­ver­ar­bei­tung. die Zahl Zehn ist schneller gelesen als das Symbol 10. Aber Lesen ist ein linearer Prozess: ein Fakt nach dem anderen. Das ist immer dann schwierig, wenn es um komplexe Bezie­hungen, Über­blick über viele Zusam­men­hänge und paral­lele Ereig­nisse geht. Da ist unsere innere Bild­ver­ar­bei­tung über­legen.

Ganz beson­ders gilt das für Zahlen. Wir können Zahlen von minus Unend­lich bis plus Unend­lich unheim­lich gut aufschreiben. Aber bei allen Zahlen, die die Anzahl unserer Finger über­steigen, ist es schwer, ihre wirk­liche Bedeu­tung zu erfassen. Hier sind Visua­li­sie­rungen unschlagbar.

Glauben Sie nicht? Testen Sie sich selbst:

Welche Zahl ist mehr?

Klicken Sie ohne lange nach­zu­denken auf die größere Zahl:

5000000000

oder

50000000

Zwei Nullen Unter­schied, das ist kaum zu sehen. Erst nach kurzer Bedenk­zeit werden Sie sicher­lich zum rich­tigen Ergebnis gekommen sein. Dabei ist der Unter­schied gewaltig.

Wie viel weniger sind
50 Millionen als 5 Milli­arden?

Das ist keine kompli­zierte Rech­nung, aber diese Zahlen sprengen unsere Vorstel­lungs­kraft. Was, wenn wir eine andere Darstel­lungsart dafür wählen, wenn wir die Zahlen als Flächen darstellen?

Klicken Sie auf die Zahlen, um den Unter­schied zu sehen:

50 Millionen

5 Milli­arden

Grafisch wird sofort offen­sicht­lich, dass die eine Zahl nicht nur größer ist, sondern um ein Hundert­fa­ches größer.

Info­gra­fiken …

  • haben eine hohe Kommu­ni­ka­ti­ons­ge­schwin­dig­keit
  • können komplexe Sach­ver­halte verein­fa­chen
  • verein­fa­chen den Zugang zu Daten
  • machen Zusam­men­hänge sichtbar
  • schaffen mehr Aufmerk­sam­keit

Welche Form soll die Info­grafik haben?

Was möchte ich erzählen?

Wie bei jedem Text­bei­trag auch, steht am Anfang die Frage: Was möchte ich erzählen? Info­gra­fiken sind nicht dazu da, Zahlen einfach schön darzu­stellen, auch sie sollen eine Geschichte erzählen. Welche Fakten sind wichtig? Was ist für den Leser inter­es­sant? Welche Botschaft soll ankommen? Florence Night­in­gale aus dem Eingangs­bei­spiel wollte die Situa­tion in den Kran­ken­häu­sern verbes­sern und Menschen­leben retten. Ihre Visua­li­sie­rung sollte davon erzählen, wieviel sich mit etwas mehr Hygiene und guter Pflege errei­chen lässt. Sie machte Zusam­men­hänge sichtbar, die so auf den ersten Blick nicht erkennbar waren.

Über­tragen auf die Unter­neh­mens­welt: Auch hier gibt es jede Menge Geschichten, die sich nur schwer in Worte fassen lassen. Komplexe Produkte oder Dienst­leis­tungen, die Kunden das Leben leichter machen. Oder Prozesse im Unter­nehmen, die nicht für jeden Mitar­bei­tenden sofort verständ­lich sind aber unbe­dingt verstanden werden müssen.

In welchem Medium kommt die Info­grafik zum Einsatz?

Wie und wo soll die Info­grafik veröf­fent­licht werden? Print, Online oder beides? Diese Frage sollte eben­falls ganz am Beginn des Prozesses stehen. Denn gerade online gibt es zahl­reiche weitere Möglich­keiten der Darstel­lung: Zahlen können animiert werden und inter­ak­tive Formate erzeugen nicht nur mehr Aufmerk­sam­keit, sondern können auch dabei helfen, komplexe Sach­ver­halte besser verständ­lich zu machen.

Oft gehen Print und Online einfach Hand in Hand. So wie bei dieser Info­grafik, die wir für das Kunden­magazin von Rein­hausen entwi­ckelt haben. Die gibt es auch in der digi­talen Ausgabe im Scrol­lytel­ling-Format.

 

Wie möchte ich erzählen?

Die Form der Info­grafik hängt ganz entschei­dend davon ab, was darge­stellt werden soll. Geht es um die Darstel­lung von vielen Daten und Fakten? Oder darum, einen Prozess zu zeigen? Hat das Thema einen geogra­fi­schen Bezug? Ist die Ziel­set­zung der Info­grafik geklärt, geht es an die Umset­zung und schon tauchen die nächsten Fragen auf: Wie kann ich das sortierte Mate­rial darstellen? Wie viel Platz benö­tige ich? Welche Elemente müssen rein, welche kann ich weglassen? Möchte ich mit Bildern arbeiten oder mit Illus­tra­tionen?

So lassen sich Info­gra­fiken grob kate­go­ri­sieren:

Prin­zi­pi­en­dar­stel­lung

Frage nach dem

Was & Wie

Prin­zi­pi­en­dar­stel­lung

Die Prin­zi­pi­en­dar­stel­lung beschreibt einen Gegen­stand, eine Struktur oder einen Prozess.

Beispiele:
Schnitt­zeich­nungen, Struk­tur­bilder, Prozess­grafik, Bild­folgen, Gesamt­bild

Karto­grafie

Frage nach dem

Wo

Karto­grafie

Die karto­gra­fi­sche Info­grafik zeigt einen Ereig­nis­raum oder die räum­liche Vertei­lung.

Beispiele:
Wetter­karten, welt­weite Handels­ströme, Wahl­er­geb­nisse je Bundes­land

Bild­sta­tistik

Frage nach

Wie viele
& Wann

Bild­sta­tistik

Die Bild­sta­tistik setzt Zahlen visuell um und ermög­licht eine zeit­liche Einord­nung.

Beispiele:
Kreis­dia­gramm, Linien- und Flächen­pro­gramm


Schritt für Schritt zur fertigen Info­grafik

1. Einen Plan machen

Ob Print oder Online – am Anfang hilft eine erste Skizze. Mit ihr lässt sich über­prüfen, ob das, was bislang im Kopf entstand auch prak­tisch funk­tio­niert. Nicht nur was die räum­liche Auftei­lung angeht, sondern auch die Plau­si­bi­lität der Geschichte. Wichtig für diese Konzep­ti­ons­phase ist, die Leser­füh­rung von Anfang an mitzu­denken. Die Info­grafik sollte die „Bedie­nungs­an­lei­tung“ wie sie zu lesen ist gleich mitlie­fern, damit sie für alle verständ­lich ist.

2. Inter­dis­zi­plinär arbeiten

Die Skizze ist ein guter Ausgangs­punkt, um sich mit den Kolleg*innen aus der Grafik und dem Web-Team auszu­tau­schen. Ist das redak­tio­nelle Konzept stimmig und lässt sich dieses auch grafisch umsetzen? Müssen Illustrator*innen beauf­tragt werden? Oder wenn es sich um eine Online-Info­grafik handelt: Kann die Idee mit fertigen Plugins reali­siert werden oder ist aufwen­dige Program­mier­ar­beit notwendig?

3. Grafi­scher Entwurf

Im nächsten Schritt ist es sinn­voll, dass die Grafik-Kolleg*innen die Skizze in einen ersten Entwurf gießen. Das gilt auch für Online-Beiträge, da so der Aufbau des Beitrags klarer wird. Hier geht es darum, die Auftei­lung von Texten, Bildern, Zahlen oder Illus­tra­tionen in ein Grob­layout zu bringen.

4. Ausar­bei­tung

Je besser die Vorbe­rei­tung, desto leichter die Ausar­bei­tung. Steht fest, wie die Elemente ange­ordnet werden und wie viele Zeichen für die Texte zur Verfü­gung stehen, ist klar welche Specials für die Web-Umset­zung geplant sind, können alle Diszi­plinen parallel arbeiten. Wichtig ist dabei natür­lich der regel­mä­ßige Austausch – denn in der Umset­zung tauchen dann doch immer wieder Unwäg­bar­keiten auf.

5. Und zum Schluss:
Den Faktor Zeit nicht vergessen!

Gute Info­gra­fiken brau­chen ihre Zeit! Auch wenn sie mit sehr wenig Text auskommen, heißt das nicht, dass sie schneller erstellt sind als eine Repor­tage. Je nach Thema kann die Recherche sogar aufwen­diger sein, weil viele unter­schied­liche Quellen ausge­wertet werden müssen. Zudem bedarf es neben der Redak­tion auch der Exper­tise anderer Diszi­plinen, wie Grafik und Program­mie­rung. Und wenn die Druckerei Spezi­al­for­mate umsetzen soll, ist auch hier mehr Zeit für die Produk­tion einzu­planen.

5 Tipps, wie sich der Prozess möglichst schlank halten lässt:

  • Ziel­set­zung der Info­grafik genau defi­nieren
  • Story­line der Info­grafik nieder­schreiben und skiz­zieren
  • Bei der Konzep­tion früh­zeitig die Grafik- und Digi­tal­ex­perten einbinden
  • Unbe­tei­ligte mit einbinden, die die Skizze auf Verständ­lich­keit und Plau­si­bi­lität über­prüfen, um so aufwen­dige Nach­bes­se­rungen zu vermeiden
  • Klare Abstim­mungs­pro­zesse mit den Auftrag­ge­bern defi­nieren
Sebastian Stamm

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