Unternehmen, die für sich und ihre Produkte werben möchten, sollten alle ihre Texte – egal ob für die Print- oder Onlinepublikation – durch eine Qualitätskontrolle schicken, sagt Lektorin Gerlinde Schmidt-Raible. Warum das so wichtig ist, was ihr Lektorat alles umfasst und warum es sie manchmal in den Fingern juckt, erzählt sie hier.
Frau Schmidt-Raible, was macht eine Lektorin?
Lektorinnen und Lektoren lesen, prüfen und optimieren Texte. Sie achten dabei auf Inhalt und Form und sorgen dafür, dass am Ende das Geschriebene fehlerfrei, verständlich, lebendig und gut lesbar ist.
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Verlags-, Wissenschafts- und Werbelektorat. Meine Tätigkeit umfasst zum größten Teil das Werbelektorat. Ich lektoriere also unterschiedlichste Unternehmenstexte, wie Kunden- oder Mitarbeiterzeitschriften, Geschäftsberichte, Kataloge, Firmenchroniken oder Presseinformationen.
Wie gehen Sie dabei konkret vor?
Ich lese Texte immer in mindestens zwei Durchgängen. Im ersten Schritt überprüfe ich hauptsächlich Rechtschreibung, Zeichensetzung, Typografie, Grammatik und unternehmensspezifische Schreibweisen, mache also das Korrektorat. Im zweiten Schritt, dem Lektorat, bearbeite ich dann Sprache und Stil, Aufbau und Systematik sowie inhaltliche Unklarheiten.
Meistens mache ich einen Tag später ─ mit dem notwendigen Abstand ─ noch einen dritten, schnellen Durchgang. Dabei checke ich letzte Details und gleiche zum Beispiel in Kunden- und Mitarbeitermagazinen die Seitenzahlen mit dem Inhaltsverzeichnis ab.
Gerlinde Schmidt-Raible ist seit 17 Jahren als Lektorin selbstständig, davor war sie in einer Werbeagentur angestellt. Ursprünglich wollte sie Deutsch und Französisch unterrichten. Die berufliche Neuorientierung hat sie nie bereut – denn ihr macht die Arbeit mit Texten viel Spaß und sie freut sich, wenn sie ihren Kundinnen und Kunden damit helfen kann.
Frau Schmidt-Raible lektoriert vor allem Publikationen von Unternehmen, mit den Magazinikern arbeitet sie bereits seit vielen Jahren zusammen. Daneben tobt sie sich gelegentlich an Kinderbüchern und Spielanleitungen aus. Auch diesen Text hat sie selbstverständlich lektoriert. Im Mai geht sie in den Ruhestand.
Sie haben Korrektorat und Lektorat genannt. Das müssen Sie uns bitte näher erklären. Wo liegen die Unterschiede?
Das Korrektorat ist das klassische Korrekturlesen. Dabei verbessere ich also zum Beispiel Fehler in der Groß- und Kleinschreibung, der Kommasetzung sowie den falschen Gebrauch von Binde- und Gedankenstrichen. Dazu gehören auch Verdreher, Doppelungen und fehlende Satzteile oder Wörter. Außerdem achte ich auf die einheitliche Verwendung der vorgegebenen Schreibweise von Firmennamen und Produkten. Beim Lektorat tauche ich tiefer in den Text ein und überprüfe ihn auch inhaltlich und stilistisch.
Was genau schauen Sie sich beim Lektorat an?
Zuerst den Inhalt: Ist alles verständlich? Wenn mir etwas unklar ist, recherchiere ich. Das ist öfter bei komplexeren technischen Themen notwendig, etwa in den Zeitschriften, die die Magaziniker mir schicken. Sind alle W-Fragen beantwortet? Der Leser soll nicht rätseln müssen, wo und wann das Szenario spielt oder wer da spricht. Steht alles zusammen, was zusammengehört? Manchmal muss ich im Text zurückgehen und schauen, worauf sich der Redakteur da eigentlich bezieht. Ich merke sofort, wo es schwierig wird, wo der Autor oder die Autorin sich in Details verliert oder Mühe hat, auf den Punkt zu kommen.
Außerdem überprüfe ich Texte auf sprachlich-stilistische Probleme. Ich streiche Wiederholungen und Füllwörter, formuliere Sätze um, wenn sich Passivkonstruktionen und Substantivierungen häufen, achte auf Satzbau und -logik. Schachtelsätze teile ich in zwei bis drei Sätze auf. Auch die Textart ist wichtig: Ein sachlich-informativer Text sollte zum Beispiel keine umgangssprachlichen Wendungen und Floskeln enthalten. Ich habe eine ganze Reihe Kriterien im Kopf, die ich abklopfe.
„Die Texte sind meine Babys. Ich möchte sie so gut wie möglich versorgen.“
Ändern Sie auch Sätze, obwohl sie im Interview genau so gesagt wurden?
Ja. Ich schaue auch die schriftliche Fassung mündlicher Äußerungen kritisch an. Natürlich dürfen Formulierungen aus einem Interview ein bisschen lebendiger und salopper sein. Der Interviewpartner soll ja authentisch und sympathisch rüberkommen. Doch auch hier gelten die Regeln für gute Texte. Zu viel Umgangssprache oder Dialekt, Wiederholungen oder schwer Verständliches ändere ich behutsam. Es geht einfach darum, dass zum Beispiel der interviewte Vorstandsvorsitzende nicht in ein schlechtes Licht gerückt wird. Ich bitte Sie auch, meine Äußerungen in diesem Interview nicht eins zu eins niederzuschreiben (lacht).
Wo liegen die größten Schwierigkeiten bei Ihrer Arbeit?
Der Umgang mit sprachlich eher unsicheren Kunden kann schwierig sein, weil sie meine Arbeit nicht so richtig einschätzen können. Manche sehen meine Korrekturen dann als Angriff auf ihre Kompetenz. Dabei ist es ja mein Job, Fehler zu beseitigen. Und Texte haben fast immer Verbesserungspotenzial. Da kann ich jeden Autor und jede Autorin nur beruhigen!
Es kommt auch vor, dass nur ein Korrektorat gefordert wird für Texte, die meiner Meinung nach eine intensivere Überarbeitung vertragen könnten. Da juckt es mich dann schon mal arg in den Fingern. Die Texte sind meine Babys. Ich möchte sie so gut wie möglich versorgen.
Für welche Art von Artikeln werden Sie am häufigsten beauftragt?
Ich werde vor allem für das Lektorat von Printprodukten beauftragt, ab und zu auch für Intranettexte von Unternehmen. Onlineartikel sind aber wirklich die Ausnahme. Dabei denke ich, dass es wichtig wäre, auch solche Texte lektorieren zu lassen.
„Im Internet ist es noch wichtiger, dass der Text klar gegliedert ist, dass die Überschrift neugierig macht und dass man schnell erkennt, worum es in dem Artikel geht.“
Warum wäre das wichtig?
Fehlerhafte Texte machen einen schlechten Eindruck und überzeugen nicht. Wer für sich und seine Produkte werben möchte, sollte daher alle seine Texte durch eine Qualitätskontrolle schicken. Die Regeln für gute Texte gelten auch im Internet.
Eine gute Struktur ist für Texte im Internet sogar noch wichtiger. Schließlich sagt man, dass Leser Artikel im Netz eher scannen als lesen. Es ist also noch relevanter, dass der Text klar gegliedert ist, dass die Überschrift neugierig macht und dass man schnell erkennt, worum es in dem Artikel geht, wenn man Klicks möchte.
Und da reicht es nicht, wenn ein Kollege drüberliest?
Meine Erfahrung zeigt, dass sich die meisten Menschen mit Rechtschreibung und Zeichensetzung schwertun. Die Unsicherheiten sind da heutzutage ziemlich groß, selbst in Redaktionen und in der Unternehmenskommunikation. Vor oder nach Relativsätzen setzt zum Beispiel kaum noch jemand Kommas. Doch sie sind – trotz Rechtschreibreform – immer noch gefordert und auch sinnvoll. Sprachgefühl wird einem nicht in die Wiege gelegt. Das erwirbt man nur, wenn man viel liest und sich mit Sprache beschäftigt.
Freiberuflich tätige Lektorinnen haben außerdem wie ich meist einen Hochschulabschluss in einem relevanten Studiengang. Der Kollege aus dem Unternehmen wiederum ist Experte in seinem Bereich und kennt sich dort fachlich bestens aus. Das heißt aber nicht, dass er sprachlich genauso fit ist. Bei Autoren kommt etwas hinzu, was man Betriebsblindheit nennen könnte. Wer lange an einem Text gearbeitet hat, sieht Fehler manchmal einfach nicht mehr. Da ist der frische Blick von außen hilfreich.